Es war und ist nicht immer alles einfach, sechs Ortsteile unter einen Hut zu bekommen.
Das weiß Bürgermeisterin Ortmann. Doch es ist schon viel zusammengewachsen.
BIEBERTAL – Eigentlich sollte Biebertal im Jahr 2020 ganz im Zeichen der Gründung der Gemeinde vor 50 Jahren stehen. Doch Corona-bedingt wurde daraus bekanntlich nichts. Ob die Feierlichkeit nachgeholt wird, bleibt offen. Dennoch lohnt es sich, einmal zurück-, aber auch nach vorn zu blicken.
“Die Vereinigung von Königsberg, Rodheim-Bieber, Fellingshausen, Krumbach und Vetzberg war damals von oben gewollt”, weiß Elke Lepper, die Vorsitzende der Gemeindevertretung. Die Gebietsreform sollte in ganz Hessen neue, größere Verwaltungseinheiten schaffen und Synergien nutzen.
Das Problem: Die Anforderungen an die bis dahin vor allem ehrenamtlichen Bürgermeister wurden immer größer. Als Großgemeinde konnte man sich die nötigen Verwaltungsmitarbeiter und einen hauptamtlichen Rathauschef leisten. Doch bis dahin brauchte es einiges an Überzeugungsarbeit, wie sich Lepper erinnert.
Die Idee des Zusammenschlusses entstand bereits im Januar 1970 bei einem Gespräch zwischen Vertretern der SPD und der FWG in Fellingshausen.
Man wollte zunächst mit der Doppelgemeinde Rodheim-Bieber Gespräche führen. Ende Juli stimmten dann die Gemeindevertreter in Rodheim-Bieber – wenn auch mit einigen Bedenken – der Idee zu.
Vier Tage später wurde das Angebot auf Krumbach ausgedehnt.
“Frankenbach wurde nicht gefragt, da sie sich bereits für einen hauptamtlichen Bürgermeister entschieden hatten”, erläutert Lepper.
Frankenbach kam erst am 1. Januar 1977 zur Großgemeinde hinzu, nachdem sich dessen Bürger bei einer Volksbefragung mit großer Mehrheit für Biebertal und gegen Hohenahr ausgesprochen hatten. Fellingshausen und Vetzberg traten dem Zusammenschluss am 21. und 23. August 1970 bei.
Die Königsberger taten sich deutlich schwerer. So ließ eine Bürgerumfrage auf massiven Widerstand schließen: 64 Prozent stimmten gegen einen Zusammenschluss. Doch das währte nicht lange. Eine Unterschriftensammlung drei Wochen später ergab das Gegenteil. Dieses Mal stimmten 69 Prozent für die Fusion.
Als der Vertrag am 1. Dezember 1970 vom Ersten Kreisbeigeordneten aus Wetzlar an den neuen Interims-Bürgermeister – den bisherigen Bürgermeister von Rodheim-Bieber, Wolf-Dieter Meckel – übergeben wurde, änderte sich zunächst nicht viel.
Ganz faktisch aber zunächst der Name, die Größe und Einwohnerzahl.
Für “Biebertal” entschied man sich recht schnell, vor allem die Vetzberger und Bieberer sprachen sich dafür aus. “Königsberg wollte lieber Dünsbergen oder Dünsbergtal”, weiß Lepper. Doch sie wurden überstimmt.
Die Großgemeinde erstreckte sich nun über 3400 Hektar, wobei Königsberg mit 1226 Hektar flächenmäßig knapp der größte und Vetzberg mit 66 Hektar der kleinste Ortsteil ist.
8118 Einwohner hatte Biebertal nun.
Als Frankenbach dazu kam, war die Gemeinde 4400 Hektar groß und hatte knapp 10 000 Einwohner.
Früh gab es ein erstes kleines Beben.
Im Januar 1971 wurden die ersten Gemeindevertreter gewählt – mit einer Überraschung. Im sonstigen “roten” Kreis Wetzlar, zu dem Biebertal damals gehörte, stimmte die Mehrheit (2384) für die Freie Wähler-gemeinschaft Biebertal (zehn Sitze), während die SPD 2173 Stimmen und neun Sitze erhielt.
Interims-Bürgermeister Meckel soll daraufhin geäußert haben, “mit diesen Pharisäern” nicht zusammen-arbeiten und nicht für das Bürgermeister-Amt kandidieren zu wollen. Somit stellte die FWG mit Helmut Bechlinger einen eigenen Bürgermeister.
Nun gab es zwar eine gemeinsam gewählte Gemeindevertretung, aber dennoch beäugten sich die Bürger noch kritisch. “Es war einerseits zwar freiwillig, aber doch auch von oben bestimmt. Da braucht man Zeit.
So etwas hat ja auch immer mit Identität zu tun, mit Wurzeln.
Ich denke schon, dass es damals wie heute wichtig war, dass etwa Krumbach Krumbach bleibt, auch wenn es unter Biebertal fällt”, sagt Bürgermeisterin Patricia Ortmann, die damit eine zentrale Befürchtung von damals anspricht: Die Sorge, dass dem Einzelnen etwas weggenommen wird. “So etwas muss wachsen, es muss sich mit den Bürgern, der Wirtschaft und der Verwaltung entwickeln.”
Dazu gehörte auch, die Sorge ernst zu nehmen, dass Rodheim-Bieber alles bekommt und in den entlegeneren Ortsteilen nichts bleibt. Doch dafür sorgte bereits das Land mit der Vorgabe, dass in jedem Ortsteil eine bestimmte Infrastruktur bleibt oder entstehen muss, wie ein Bürgerhaus.
“Das war eine wichtige Entscheidung, denn es ist auch heute noch ungemein wichtig, dass man einen Mittelpunkt im Ort hat”, betont Ortmann.
Auch war der Bürgermeister damals verpflichtet, eine wöchentliche Bürgersprechstunde in jedem Ort abzuhalten. Diese gibt es heute nicht mehr. Umso wichtiger findet es Ortmann, dass die Bürger in jedem Ortsteil Ansprechpartner im Ortsbeirat haben.
Lepper, die 1970 der Liebe wegen nach Biebertal – genauer Königsberg – zog, erinnert sich noch, dass es vor allem in den ersten Jahren immer wieder zu Sticheleien kam. “Man muss sich klar machen, dass jeder Ort gewachsen ist. Selbst die Dialekte sind teils unterschiedlich. Und plötzlich war man eins.”
Maibäume wurden geklaut und selbst Ehen über die Ortsgrenzen hinaus waren lange Zeit nicht gängig.
Es gab aber auch Berührungspunkte, wie etwa die Schule. Die Kinder aus Königsberg, Vetzberg und Rodheim-Bieber wurden zusammen unterrichtet, es entstanden Freundschaften.
Ähnlich ist es auch heute noch. In Fellingshausen gehen immer noch die Kinder aus Krumbach und Frankenbach in eine Grundschule. Auch in der Vereinsarbeit näherte man sich an.
Lepper weiß noch, “dass der Chor in Königsberg 1975 sein Jubiläum feierte und dazu auch die Chöre aus den anderen Ortsteilen einlud, die gerne mitmachten.”
Ein Beispiel aus der jüngsten Zeit ist laut Ortmann die Teilnahme an der “Tour der Hoffnung” 2019.
“Alle haben an einem Strang gezogen und wir haben gezeigt, wie gut man miteinander funktioniert und was man schaffen kann, wenn man etwas gemeinsam anpackt.”
Ähnlich gehe man das nun mit dem neuen Stützpunkt für vier Feuerwehren an. “Auch wenn die Zusammenarbeit auch mal holprig war, ist das ein riesen Schritt und zeigt, wie gut wir zusammengewachsen sind.” Schließlich müsse man gemeinsam in die Zukunft gehen, “alleine geht es nicht”.
Ein künftiges Ziel ist eine bessere Verbindung zwischen den Ortsteilen – per Fahrrad und per Bus. Da gehe es auch um die Verbindung nach Wettenberg und Gießen.
Als Flächengemeinde mit teils längeren Wegen sei es wichtig, mit der Zeit zu gehen.
“Wir wollen die Verwaltung so gut wie möglich digital aufbauen, damit man nicht für Kleinigkeiten von Königsberg nach Rodheim muss”, so Ortmann.
Dass die Rathauschefin keine Ur-Biebertalerin ist, sieht sie mittlerweile als Vorteil. Sie habe völlige Neutralität, keine Präferenz für einen Ortsteil. “Ich denke, dass man mir deshalb auch mit Geduld begegnet, aber ich muss auch liefern. Gerade bei Dingen wie der Mehrzweckhalle in Krumbach.”
Quelle: Jennifer Meina, >Alleine geht es nicht<, Gießener Anzeiger, 10.01.2021