In diesem Jahr 2020, im Jahr der Corona-Pandemie, gibt es zwar keine Reden vor Publikum, dafür aber schriftliche Gedanken zum Volkstrauertag; In Fellingshausen hat der Vorsitzende der Vereinsgemeinschaft Fellingshausen, Steffen Balser – wie oben im Bild zu sehenden – seine Worte zum Lesen auf dem Friedhof am Fliegerdenkmal aufgestellt. Hier sind sie als erstes zu lesen. Im Anschluss daran finden Sie den Text des stellvertretenden Ortsvorstehers in Fellinghausen, Dr. Alfons Lindemann. Er hatte in den Jahren zuvor versprochen, seine Reden zum Nachlesen zu veröffentlichen.
2020 – verlorenes Jahr?
Jedes Jahr im November begehen wir den Volkstrauertag und gedenken der Opfern beider Weltkriege. Wir denken an die Soldaten, die an der Front gefallen sind, den unzähligen Menschen, die durch direkte Kriegs-handlungen getötet wurden, den zahlreichen Opfern, die durch das NS-Regime ums Leben kamen und den Menschen auf der ganzen Welt, die durch Krankheit, Not und Elend starben. Aber erinnern wir uns nicht nur an die Opfer der vergangenen Kriege. Auch heute fallen noch immer Soldaten in den verschiedenen Regionen der Welt.
Am 9. 11. jährt sich die Reichsprogromnacht in diesem Jahr zu 82. Mal. In dieser Nacht brannten Synagogen und jüdische Geschäfte im ganzen Deutschen Reich. Tausende Juden wurden misshandelt, verhaftet oder getötet. Spätestens an diesem Tag konnte jeder in Deutschland sehen, dass Antisemitismus und Rassismus bis hin zum Mord staatsoffiziell geworden waren. Diese Nacht war das offizielle Signal zum größten Völkermord in Europa. Aber dieser Hass richtet sich nicht ausschließlich gegen Juden, sondern gegen jeden in der Bevölkerung, der die Machenschaften der Nationalsozialisten nicht unterstützte.
Auch heute liest man in der Zeitung, dass rechte Gewalt in Deutschland wieder zunimmt. Rechtsextreme Gruppierungen erstarken und Aggression gegen Geflüchtete und Asylbewerber nehmen zu. Der Verfassungsschutz zählte im Jahr 2019 mehr als 22.300 Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund. Darunter fällt z.B. der Mord des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke oder die Attentate vor der Synagoge in Halle und am 19. Februar in der Hanauer Innenstadt. Aber spätestens, als am 29. August 2020 ca. 400 Rechtsextremisten und Regierungskritiker versuchten das Reichstagsgebäude zu stürmen, müssen bei jedem von uns alle Alarmglocken angehen.
Das Jahr 2020 ist sowieso ein verrücktes Jahr, wie es in der Geschichte selten vorkam. Selbst in unserer gefestigten Demokratie passieren Dinge, die wir vor einem Jahr für unvorstellbar hielten. In Deutschland gibt es unzählige Einschränkungen gegen das Grundgesetz. So wird z.B. die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Religionsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt. Dies alles passiert durch Verordnungen, die die Bundes- und Landesregierungen erlassen. Es ist die Aufgabe der Regierung, dafür zu sorgen, dass die Gesundheitsvorsorge der Bevölkerung sicher gestellt wird; aber politische Debatten über Einschränkungen müssen in den Parlamenten geführt und dort mehrheitlich durch unsere gewählten Volksvertreter beschlossen werden.
Möglicherweise bietet die Cornoa-Pandemie auch eine Chance, um uns wieder auf die wichtigen Werte zu besinnen, So kümmern wir uns in dieser Zeit z.B. um unseren Nachbarn, der zum Einkaufen nicht das Haus verlassen kann, ober wir danken den Menschen im Gesundheitswesen, die mit dem Risiko leben, selbst infiziert zu werden und sich dennoch um Alte und Kranke kümmern. Wir unterstützen uns in Krisenzeiten und lassen niemand alleine, auch wenn wir Abstand halten.
Wie oft sind es erst die Ruinen, die den Blick auf den Himmel freigeben. Lasst uns dafür kämpfen, dass die Welt wieder ein Stück näher zusammenrückt und dass wir die Hoffnung auf eine bessere Welt nach Cornona nicht verlieren.
Denn: „selig sind die, die Frieden stiften“
Für die Vereinsgemeinschaft Fellingshausen Steffen Balser
Liebe Fellingshäuser/innen,
im November, wenn das Laub von den Bäumen fällt und uns an den Tod erinnert, gedenken wir an Allerheiligen der Toten und erinnern uns am Volkstrauertag speziell an die Kriegsopfer und all der menschengemachten Leiden.
2020 ist in dieser Hinsicht ein besonderes Jahr. Denn 2020 ist die Fragilität des Lebens im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in den Medien das dominierende Thema des Jahres.
Vielfach wird nun gewünscht: „Bleib gesund!“
Dabei hat sich – still und leise – eine Klima der Angst breit gemacht; Angst vor Infektion, Krankheit und Tod, Angst andere anzustecken, Angst vor Beschädigungen unserer Demokratie und vor Verlust des vertrauten Lebensstils.
Ein Virus braucht Wirte, in denen er sich vermehren und überleben kann. Sinnvollerweise gehen wir auf Abstand; wir verschleiern unsere Gesichter und desinfizieren, was das Zeug hält, womit das „Überspringen“ von Vieren verhindert werden soll.
So finden in diesem Jahr auch keine gemeinsamen Gedenkgottesdienste statt, keine Reden, kein Chorgesang. Bürgermeisterin und Ortsvorsteher/innen legen allein, stellvertretend in stillem Gedenken in den Ortsteilen von Biebertal Kränze nieder.
Das ist eine gute und richtige Vorsichtsmaßnahme, die den Respekt vor den Lebenden zum Ausdruck bringt.
Leider trägt die nun seit Monaten praktizierte Distanz, wie auch der fehlende Einblick in die Mimik unserer Mitmenschen, dazu bei unschöne Gefühle zu verstärken: das Gefühl der Unsicherheit, des Ausgeliefertseins und der bewusst gewordenen Zerbrechlichkeit des Lesens sowie eine Grundhaltung von Misstrauen und Angst. Wie schön war es doch, als wir uns über die Nähe zu anderen das Gefühl der Zugehörigkeit versichern konnten, uns geborgen und getröstet fühlen konnten! Wie schön war es, als wir uns ungezwungen zum Essen verabreden konnten oder dem einen oder anderen Kunstgenuss frönen, zum Eintrachtspiel fahren und uns in der Nordwestkurve dem Taumel der Gleichgesinnten hingeben oder selbst singen … und und und … konnten.
Irrwitzigerweise sprachen Politiker davon, wir seien im Krieg gegen Corona. Nein, das sind wir nicht! Ja, wir müssen uns mit einem Naturphänomen auseinandersetzen, aber nicht mit einem menschengemachten Desaster.
Die Kriege, Vertreibungen, Terrorangriffe gibt es noch immer an vielen Stellen der Welt und die Opferzahlen von Krieg, Hunger und Vertreibung sind um ein vielfaches höher, als die Opferzahlen der „durch oder mit“ dem SRAS-Cov19-Virus verstorbenen.
Und auch in unserem Land sind die Wunden der letzten 100 Jahr längst nicht verheilt: Spukgeister der Vergangenheit tauchen wieder vermehrt auf: Ressentiments, Vorurteile, Sündenbockdenken und ähnliches; manche klammern sich an längst überwunden geglaubte nationalistische und rassistische Scheinideale, wünschen sich „wissende“, bestimmende, für Ordnung sorgende, autoritäre Machthaber oder leiden an psychologischen Deformierungen und stellen die Basis unseres Wissens mit Fake Informationen und Befindlichkeiten in Frage; oder meinen, in religiösem oder ideologischem Wahn, im Besitz von Wahrheiten zu sein, die sie anderen mit Gewalt beibringen zu müssen glauben.
Darunter aber liegen sehr häufig alte Kränkung, Demütigung, Verletzung, vermeintliche Ansprüche auf Land, Bodenschätze, Wasser, Wissen usw., die als Motiv und Rechtfertigung für Gewalt, im gesellschaftlichen, wie im persönlichen, geltend gemacht werden. Auf die psychologischen Hintergründe war ich im letzten Jahr eingegangen. Als Ausgleich für dieses Gefühl der Schwäche bieten sich reale Macht, wie das Gefühl von Macht, aber auch Gier und Geiz als (scheinbare) Kompensation für die selbst oder von den Vorfahren erlebten Traumata an.
Die unterschwellig – über epigenetische Mechanismen und über soziale Vererbung – aus der Vergangenheit durch die Generationen weitergereichte Angst mischt sich mit einer diffusen Angst vor der Zukunft, die wegen Klimawandel, Energie- und Wasserkrisen, Strukturwandel, Flüchtlingsströmen, Artensterben usw. als bedrohlich wahrgenommen wird. Und, es ereilte uns in diesem Jahr eine Folge der Globalisierung und der schrumpfenden Lebensräume für Tiere, die es möglich machte, dass ein bis dato tierpathogener Keim auf die Spezies Mensch übersprang und unseren gewohnten Alltag durcheinander wirbelte.
Im Verlaufe des Jahres begriffen wir allmählich: das ist unsere neue Realität! Wieder einmal müssen wir uns anpassen und mit der gegebenen Situation fertig werden.
Wenn wir heute der Opfer zweier Weltkriege gedenken, können wir auch sehen lernen, wie die Menschen mit anderen schrecklichen Situationen fertig geworden sind, wie sie – gegen alle Widerstände – mit Zuversicht an die Gestaltung ihres Lebensraumes herangegangen sind. Zusammenhalt und Zusammenarbeit war dabei ein starker Anker, positive Ziele und Hoffnungen auf Besserung beflügelten sie und sie sorgten dafür, dass es ihre Kinder einmal besser haben könnten, als es der Elterngeneration vergönnt war. Schauen wir also nach vorn, formulieren wir attraktive, erreichbare, konkrete Ziele und lernen aus dem Blick in die Vergangenheit, was wir besser machen können.
In diesem Sinne ist der Volkstrauertag, wie auch die allgemeine Entschleunigung in diesem Jahr, ein Innehalten, eine Zeit zum Nachdenken darüber, was einer und einem jeden wirklich wirklich wichtig ist in diesem Leben.
Gemeindevertreter beschließen 2020 einstimmig, auch in Biebertal Stolpersteine für die Opfer des NS-Regimes zu verlegen: Fellingshäuser Str. 18 in Rodheim, Burgstraße 29 in Vetzberg. Denn im Rahmen des Eutanasieprogramms wurden drei Biebertaler in Hadamar und Eltville ums Leben gebracht. Die Verwandten von Wilhelmine Bechlinger (1908 – 1944), Emma Belloff (1875 – 1941) stimmten der Verlegung der Steine zu.
Die Idee zu den Stolpersteinen hatte der Künstler Gunter Demnig, der 1992 mit dem Projekt begann. Die Stilpersteine sind kleinen Gedenktafeln, die an das Schicksal der Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus (NS-Zeit) verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Inzwischen wurden in Deutschland und in 25 weiteren europäischen Ländern Stolpersteine verlegt.
Mit dem Kölner Künstler wurde bereits Kontakt aufgenommen. Die Kosten für einen Stoperstein betragen 120,- Euro. Die SPD-Fraktion, die den Antrag eingebracht hatte, kündigte an, sich an den Kosten zu beteiligen. Frau Ortmann regte an, auch ein Denkmal für Vielfalt und Respekt an einem gut frequentierten Platz in der Gemeinde aufzustellen und Ideen dazu vorzubereiten.
im Namen des Ortsvorstandes begrüße ich Sie zu unserer Gedenkfeier.
Der Volkstrauertag, ist in der Erinnerung an die Kriegsopfer entstanden. Die Schrecken des Krieges sollten nie vergessen werden, … nirgendwo!
Kriegerische Auseinandersetzungen und Erfahrungen der Kindheit, der eigenen oder der von Vorfahren, hängen aus psychologischer Sicht eng miteinander zusammen.
Wir erleben das heute auf der Bundesrepublikanischen Bühne, wo 28 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands sichtbar wird, dass Integration nicht gelungen ist. Die jeweils von der ersten Generation verdrängten Kränkungen brechen nun in Vertrauensverlust und Wut auf „die da oben“ an die Oberfläche. Das gilt sowohl für Migranten, wie auch der Ost- und Westdeutsche, die plötzlich ihre lokale bzw. nationale Zugehörigkeit betonen. Es gibt verschiedenste Aufstellungen von Kriegsursachen. Sven Fuchs von der Uni Köln sagt: „Als Kind geliebte Menschen fangen keine Kriege an.“ Er hat eine Auflistung herausgesucht, die von der „Bundeszentrale für politische Bildung“ (Ein Teil von „Panorama der Konflikte – Weltkonflikte“ unter http://www.bpb.de/die_bpb/ZTTVEX,0,PDFVersionen.html) veröffentlicht wurde. Folgende Kriegsursachen werden aufgelistet:
TERRITORIALANSPRÜCHE, Konkurrenz um Grenzen und Gebiete
HERRSCHAFTSINTERESSEN, Durchsetzung politischer und ökonomischer Interessen durch Eliten
FEHLWAHRNEHMUNG, Falsche Beurteilung der Stärke und Absichten anderer Staaten
HERRSCHAFTSSICHERUNG, Furcht vor einer Bedrohung von außen
ABLENKUNG, Ablenkung von Konflikten innerhalb eines Staates
MACHTKONKURRENZ, Kampf um Vormachtstellungen in der Region
ROHSTOFFBEDARF, Konkurrenz um Ressourcen
INTERNER KOLONIALISMUS, Ökonomische Ausbeutung und politische Unterdrückung von
SOZIO-ÖKONOMISCHE HETEROGENITÄT, Auf krasser sozialer Ungerechtigkeit beruhende, bei Bevölkerungsgruppen und Regionen
ETHNISCH-KULTURELLE HETEROGENITÄT, Kein Interessensausgleich angesichts unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, die keine „einheitliche Nation“ / Gesellschaftssysteme bilden
Diese Art von Kriegsursachenverständnis ist klassisch. Wenn man sich mit den emotionalen Ursachen (und dabei vor allem belastenden Kindheitserfahrungen) von Kriegen beschäftigt, erscheint einem diese Aufstellung allerdings doch sehr lückenhaft. Mehr noch, sie geht an den tieferen Ursachen komplett vorbei!
Viele „Begründungen“ beinhalten letztlich das gleiche: Menschen bzw. Nationen (und ihre Eliten) wollen etwas haben, etwas in Besitz bringen, um sich dadurch mächtiger zu fühlen und/oder weil sie meinen, einen rechtlichen Anspruch darauf zu haben und/oder um für sich (vor allem ökonomische) Vorteile und Annehmlichkeiten zu sichern (was wiederum auch Machtzuwachs bedeutet). Für die Erreichung dieser Ziele motivieren sie andere, in den Krieg zu ziehen.
Wenn man darum weiß, dass Menschen, die emotional lebendig sind und deren Mitgefühl nicht verschüttet ging, niemals (außer vielleicht in äußerster persönlicher Notwehr) einen anderen Menschen töten oder andere dazu motivieren könnten, dann erscheint dieses Ursachenverständnis allerdings wenig logisch. Macht, Geld, Land, Nahrung, Häuser usw. alles toll. Aber dafür töten? Nur Menschen, deren Emotionen erkaltet sind, können (der Macht willen) töten. Nur Menschen, deren Emotionen erkaltet sind, können hinterher irgendwie weiterleben, mit dem Wissen um ihre Taten.
Emotionen erkalten vor allem, wenn Gewalt in der Kindheit erlebt wird. Keine Lebensphase ist so bedeutend für die Entwicklung eines Menschen, wie die Kindheit. Die Regionen, in denen wir heute Kriege und Terror sehen, sind nachweisbar Regionen mit sehr hohen Raten von Kindesmisshandlung – das beinhaltet sowohl Gewalt gegen Kinder, wie auch Vernachlässigung oder Indoktrination für Ziele von Erwachsenen, also Instrumentalisierung von Kindern. Zudem spielt eine hohe Anzahl an jungen Männern, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in einer Region, eine Rolle.
Wenn man sich anschaut, dass Kriege weit höhere Kosten mit sich zu bringen, als (scheinbare) Gewinne, kann es kaum wirklich nur um Land, Öl, Geld und Macht gehen. Hitler-Deutschland und der Traum vom großen zusätzlichen Lebensraum oder gar der Weltherrschaft endete im genauen Gegenteil, dem Verlust großer Teile des Landes und der Zerstörungen der Infrastruktur und Ökonomie. Kriege wirken ungemein destruktiv auf alle gesellschaftlichen Bereiche. Sie behindern Innovationen und Fortschritt; binden Gelder, die in andere Bereiche investiert viel mehr einbringen würden; sie binden Personal und Führungskraft, sie schaden der eigenen Ökonomie und Gesellschaft. Nichts spricht dafür, dass es wirklich um die oben benannten Gründe geht; auch nicht im „Kampf der Kulturen“. (Buch von Samuel P. Huntington)
Wem bringt es etwas, wenn z.B. israelische Siedler wahllos aus Rache irgendwelche Palästinenser angreifen … oder umgekeht … oder angeblich anders aussehende Menschen?
Erstere Sache ist der Zündfunke oder das „rationalisierte Ziel“, das die Menschen vordergründig gebrauchen, um ihren Hass und ihre Gewalt zu entemotionalisieren bzw. zu rationalisieren. Dahinter verbirgt sich die Tatsache, dass nur emotional gestörte Menschen, Menschen mit einem tiefen inneren Hass, der seinen Ausdruck sucht, zu solchen Taten fähig sind. Menschen wollen hassen und wollen Gewalt, weil sie sich dadurch emotional kurzfristig befreit fühlen, „lebendig“ fühlen, Dampf ablassen können, bevor sich der Hass zu sehr gegen sie selbst richtet und sie selbst zerstört, bevor die Erinnerungen an die frühen Demütigungen zu sehr ins Bewusstsein gelangen. Um diesen gewollten Hass bauen sie sich ein „logisches Gerüst“, das meiner Meinung nach abgerissen gehört, um den Blick auf die tieferen Ursachen freizulegen. Das „logische Gerüst“ kommt zusätzlich je nach Region auf der Welt in anderen Formen und Farben zu Geltung. Gemeinsam ist jedoch immer wieder, dass da jemand, der als Kind schwer misshandelt wurde. Inder Folge ist so jemand voller abgespaltener Ängste, voller Wut und Hass. Doch in Irland sucht und findet er andere Feindbilder, die er aufgreifen kann, als ein Mensch mit dem selben persönlichen Hintergrund, der in Nordafrika aufwächst oder in Russland lebt etc.
(Ähnlich wie oben aufgeführt verhält es sich übrigens auch bzgl. privater Gewalt. Bei der klassischen „Beziehungstat“ – also wenn ein Mensch in einer Trennungssituation seine Partnerin/ seinen Partner umbringt, oftmals in sehr brutaler Art und Weise z.B. mit 20-30 Messerstichen – lässt sich hinterher vielleicht ein Eskalationsprozess feststellen, jahrelange Streitigkeiten um dies und das und alles, was in destruktiven Beziehungen so vor sich geht, aber erklärt das dann auch das Töten? Ist nicht die gestörte Beziehung an sich schon ein Ausdruck von gestörten Emotionen der beiden Partner? Und ist nicht erst recht das Abschlachten des Partners/der Partnerin ein Beleg dafür, dass der Täter / die Täterin ihre Emotionen abgespalten hat?)
In der heutigen Zeit erleben wir, wie Kriege durch Mitgefühl gerechtfertigt werden. Unsere emotionale Entwicklung ist fortgeschrittener, als sie noch Anfang des 19. Jahrhunderts oder auch davor war. Offiziell braucht es heutzutage eine andere Sprache der Politik, damit die Bevölkerung nicht revoltiert und den Krieg stillschweigend mitträgt. Dabei bleibt auch diese „nettere“ Sprache Heuchelei und verdeckt nur, dass Entscheidungen für einen Krieg von Menschen getroffen werden, die kein Mitgefühl kennen. Sie reden auch heute von „Moral“ und von „Mitgefühl“ für das Volk in Libyen und rechtfertigen so ihren Krieg und das Töten von Menschen. Heutige Kriege werden moralisch ausgerechnet. Wie viele Menschen müssen wir töten, damit wie viele Menschen nicht getötet werden? Tony Blair hat z.B. eindrucksvoll in seinem Buch „Mein Weg“ (2010) auf Seite 407 klar gemacht, dass er von 100.000 – 112.000 toten Irakern ausgeht. Davon seien aber ca. 70.000 nicht durch die westlichen Koalitionstruppen umgekommen, sondern durch religiös motivierte Gewalt… Den Streit um Zahlen und Wahrheit lassen wir hier mal außen vor. Blair übernimmt durch diese Aussage quasi die Verantwortung für zumindest 30-42.000 durch westliche Truppen getötete Iraker. Auf den Seiten davor und danach kommt dann seine moralische Gegenrechnung. Wie viele Kinder und Menschen hatte Saddam Hussein getötet, wie viele wären gestorben, wäre er weiter an der Macht geblieben? Sein moralischen Rechenergebnis: Ja, der Krieg war richtig, man tötete Menschen, aber viele andere konnten so gerettet werden… Da könnten wir jetzt – diesen Gedankengang folgend – auch (wieder) anfangen, Menschen für medizinische Versuche zu gebrauchen und ihren möglichen Tod in Kauf zu nehmen, um andere, viele andere zu retten, oder? Dann müssen wir außerdem unseren Kindern in Schule und Familie folgerichtig beibringen: Töten ist falsch, außer manchmal, alles klar? Wie erklärt man dies Kindern, dass das Töten hier falsch ist und dort richtig?
Ich versuche hier einigermaßen sachlich zu argumentieren, denn emotional lässt mich das Thema nicht kalt. Dennoch darf an dieser Stelle auch mal gesagt werden: “Ich finde diese gefühlskalte, heuchlerische Rhetorik (nicht nur von PolitikerInnen, sondern auch in Medien und Diskussionsrunden) , die vordergründig Gefühle und Mitgefühl verspricht und vorspielt, zum Kotzen! Ich finde den Militäreinsatz gegen Libyen zum Kotzen. Ich finde es zum Kotzen, dass die Welt immer noch nicht verstanden hat, dass Gewalt nicht durch Gewalt zu beenden ist.”
Ich bin überzeugt, wenn wir mehr miteinander in realen Kontakt kommen, einander wieder Nahe kommen und etwas miteinander tun und teilen, wird der Friede im Kleinen der Keim für einen Frieden im Großen. Denn: wenn nicht wir, wer denn dann?
Für mich ist der >Volkstrauertag< ein Tag geworden, der die Sehnsucht nach Frieden und Kooperation zum Ausdruck bringt. Denn wenn “der Andere” nicht als Konkurrent, als Feind, der mit mir um knappe Ressourcen kämpft gesehen wird, sondern als Bereicherung durch Zusammentragen von Wissen und Können, … dann sind wir in unserer Gemeinschaft deutlich besser aufgestellt. Mir jedenfalls scheint, dass im Geben und Nehmen, im Teilen und Mit-teilen unsere menschlichen Stärken liegen.
Ich wünsche Ihnen allen viel davon; herzlichen Dank.
Unser Ortsvorsteher Dieter Synowszik lässt Ihnen Grüße auszurichten. Wieder hat er mich als sein Stellvertreter gebeten, die Rede zum Volkstrauertag zu halten und der Kriegsopfer zweier Weltkriege zu gedenken.
Ein solcher Gedenktag ist jedoch viel mehr … und heute umso wichtiger, da es manche Menschen bei uns inzwischen wieder für tragbar, ja wünschenswert, halten, dass die Würde des Menschen teilbar sei: dass dieses Grundrecht für Juden, Muslime, Sinti, Roma, Schwule, Lesben, usw., die man als anders definiert, nicht gelten soll.
Zukunftsangst und Unüberschaubarkeit der Situation durch Klimawandel, Überbevölkerung, Globalisierung und zunehmender Egoismus sind äußere Erklärungen. Doch das allein kann es nicht sein. Denn aktuell sind die Spaltungvon Gesellschaften und Populismus, also von eigenen Nützlichkeitserwägungen geprägte, demagogische und nationalistische Politik ein weltweit zu beobachtendes Phänomen.
Als Psychologe vermute ich aufgrund von beschriebenen Befunden und Biographien sehr stark, dass diese Reaktion inneren Beweggründen folgt, die in den Lebensgeschichten von Menschen begründet liegen. Dazu später einige Beispiele …
Hass, Rassismus, Populismus, anti-demkratische, anti-freiheitliche und anti-gleichberechtigungs-Gedanken, Radikalität und Terror werden in unseren Alltag in erschreckendem Maße wieder salonfähig. Angst und katastrophische Erwartungen dominieren das Denken weiter Teile der Bevölkerung und der Berichterstattungen in den Medien. Zwar pflegten nach dem 2. Weltkrieg in der BRD, wie Studien belegen, durchgehend – quer durch alle Parteien – immer 20-30 % eine braune Gesinnung … und in der DDR wurde die Nazi-Zeit überhaupt nicht aufgearbeitet. … Stattdessen wurde ein autoritäres Regime unter neuer Flagge fortgesetzt.
Neo-Nazis waren lange offiziell eine verpönte Splittergruppe. Heute traut man sich – lange und strategisch gut vorbereitet – wieder, sich öffentlich zu zeigen und derartiges Gedankengut – die Geschichte verleugnend – für Sinnvoll zu halten. Die Auswirkungen erleben wir gerade und nach 2015 verstärkt, ohne dass sich die Menschen an der Demagogie, der Verführung und dem manipulativen Vorgehen stören. Sprachanalysen von AfD-Reden zeigen; wie die Redner ihr Publikum erst als Verlierer beschimpfen und abwerten, um dann als Retter aufzutreten. Dabei ist den meisten nicht bewusst, dass hier Erinnerungen an eigene Verletzungen aus früheren Zeiten der Kindheit, wie auch kollektive Wunden aus der Geschichte benutzt werden.
Heute wissen wir, dass der Faschismus zentral keine Ideologie ist, sondern eine zerstörerische Art und Weise, eine Realität herzustellen.
Vor wenigen Tagen kam im Gießener Psychosozialverlag ein Buch der Kinderpsychoanalytikerin Anne-Lise Sternheraus, die die Deportation nach Auschwitz-Birkenau überlebt hat.
Sie betont: „Die Kinder haben ein Recht auf einen neuen Anfang“.
Sie rechnet mit niemandem ab, sie verurteilt niemanden, aber sie entlässt auch niemanden aus der Verantwortung für die Erinnerung.
Denn will man Hass, Krieg und Verfolgung oder auch Klimasünden verhindern, muss man die eigene Geschichte verstehen, … um sie nicht wiederholen zu müssen. Denn alles was uns nicht bewusst ist, hatte Sigmund Freud (1856-1939) schon erkannt, müssen wir in Szene setzten und schmerzhaft erleben, um es zu begreifen.
Erst Bewusstsein – also Wissen – eröffnet Wahlmöglichkeiten.
Daher gilt es heute, zeitgeschichtliche Phänomene in den Blick zu nehmen, die uns aktuell leider wieder bzw. immer noch umgeben: Zum einen sind die Auswirkungen der Weltkriege längst nicht vorbei – sowohl in den Motiven und Handlungen von Regierungen, wie auch in unseren persönlichen Leben. Denn die Traumata von Gewalt, Hunger, Not und Vernichtung wirken auch in den nachfolgenden Generationen weiter. Sie werden über Familiengeheimnisse, über verdrängte Schuld- und Schamgefühle, durch die Einstellungen und das Verhalten der Eltern, wie auch epigenetisch – also durch Ein- oder Ausschalten bestimmter Gene – an Kinder und Enkel weitergegeben und wirken dort unbewusst nach.
Die Zeitschrift „Der Spiegel“ hat das in seiner Ausgabe vom Dez. 2018 mit dem Artikel „Familien und ihre Geheimnisse – Wie unsere Vorfahren unser Leben prägen“ kurz uns prägnant herausgearbeitet.
Wer eine Kopie des Artikels möchte, kann sich gerne an mich wendenoder über den Link links direkt beim Verlag bestellen.
Zum anderen sind solch gravierende äußere Ereignisse immer auch Spiegelungen von (abgewehrten, also unbewusst gemachten) Erinnerungen an Situationen der eigenen frühen Lebensgeschichte. 1977 beschrieb Klaus Theweleit in seinem Buch „Männerfantasien“, dass es für die in Freikorps organisierten Vorbereiter des Nationalsozialismus strukturell darum ging, sich selbst „heil“ zu machen – durch Gewalt gegen andere … was in der kindlichen Phantasie möglich erscheint, jedoch nie in der Realität gelingen kann. Allein die Liebe und echter Kontakt mit gefühlter, passener Resonanz wirken heilsam. Auch 1919/20 wurde gesagt, man müssten das „Vaterland schützen“, die „Nation retten“, aber das waren nicht die wirklichen Handlungsmotivationen. Man muss sich vorstellen, dass damals autoritäre Strukturen üblich waren und Kinder ganz selbstverständlich geprügelt wurden, so dass sie immer Angst vor Einbrüchen von außen haben mussten. Vielen Menschen ist es daher nicht gelungen ein Gefühl von Körperganzheit auszubilden und die Zersplitterung im Ich-Erleben zu überwinden, klare Grenzen zu entwickeln. Ähnliche Phänomene sehen wir auch heute bei Suchtkranken. Da war und ist ein Bedürfnis nach Gewalt, der mit dem Wunsch zu tun hat, eine Körperganzheit (Integration) herzustellen. So kann man sich erklären, dass manche Menschen später die Außengrenzen ihres Körpers auch mit Landesgrenzen gleich setzten. Wir haben 2015 erlebt, wie Flüchtlingsströme empfunden wurden, als würden sie in die Körper solcher Leute einströmen und nicht einfach nur ins Land. Bereits 1933 beschrieb der Psychiater und PsychoanalytikerWilhelm Reichin dem Buch „Die Massenpsychologie des Faschismus“, wie Triebunterdrückung und faschistische Ideologie zusammenhängen. Er zeigte auf, wie die patriarchalisch organisierte Familie mit ihren Zwangsstrukturen – als Keimzelle des Staates – Charaktere schafft,die sich einer unterdrückenden Ordnung, trotz Not und Erniedrigung, unterwerfen. Auch Erich Fromm und Max Herkheimerentwickelten – ebenfalls in den 1930er Jahren – das Konzept des autoritären Charakters, den sie voller Vorurteile, Konformität, destruktiv, autoritätsgläubig, gehorsam, rassistisch und ablehnend gegenüber dem Fremden und fremden Kulturen beschreiben. 1941 erklärt Fromm die Psychodynamik dieser Furcht und Flucht vor der Freiheit, als Angst vor einer pluralistischen, vielfältigen Welt. Der geistige Gleichmacherei verträgt keine Andersdenkenden.
Ein Erklärungspfad führt hier direkt in die Zeit nach der Geburt. Da erlebt sich das Kind noch nicht von der Mutter getrennt und auch die Zuordnung von positiven, lustvollen und negativen, unlustvollen, schmerzhaften Aspekten des eigenen Selbst oder der umgebenden Objekt ist noch nicht entwickelt. In dieser Zeit sorgt der Abwehrmechanismus Spaltung – vor der wir derzeit allenthalben als gesellschaftliches Phänomen hören – in Belastungs- oder Konfliktsituationen dafür, unerträgliche Vorstellungen auseinander zu halten, … mit dem Ergebnis, dass das eigene Selbst bzw. die Anderen ausschließlich als entweder „nur gut“ oder „nur böse“ wahrgenommen werden können. Die Spaltung schützt die „guten“ Anteile (z.B. „die Deutschen”, “Polen”, “Türken”, die weißen US-Amerkianer) vor den eigenen Aggressionen, die in der kindlichen Phantasie Vernichtung bedeuten. Auf diese Weise werden die zerstörerischen Impulse nun im eigenen Erleben nicht mehr bei sich, sondern so wahrgenommen, als ob sie von den anderen kommen. So verwandelt lässt sich der Impuls im nächsten Moment, sozusagen in Selbstbverteidigung „berechtigt“ und für das eigene Selbstbild gefahrlos, exzessiv gegen den „bösen“ Anderen („den Ausländern, die mit der anderen Meinung oder gegen die, die eigene sexuelle Identität bedrohenden“) ausleben … oder ihn, als „dem Bösen“, zumindest projektiv zuzuschreiben; so wie ein Filmprojektor ein Bild auf eine Leinwand wirft und man den Eindruck gewinnt, der Film spiele sich auf der Projektionsfläche ab, statt im Projektor. So schützt Spaltungsabwehr akut vor überwältigenden negativen Vorstellungen von sich Selbst, vor Selbstzweifeln und Selbsthass bis hin zu selbstverletzendem Verhalten … das dann irgendwann doch z.B. auf AdolfsFrage „wollt Ihr den totalen Krieg“ ein jubelndes „Ja“ hervorbringt.
Eine Reflektion des eigenen Tuns ist in diesem regressiven (rückgewandten, wir in früheren Zeiten und auf andere Personen reagierend) inneren Zustand, auf diesem Entwicklungsniveau, nicht möglich. Hinzu kommt, dass diese kindliche Erlebensweise und die sich daraus ableitenden Verhaltensmuster dem Erwachsenen nicht mehr bewusst sind. Sie sind der kindlichen Amnesie anheim gefallen. So kann fast alles, was in unserer vorsprachlichen Zeit war, nicht erinnert werden, zugleich ist alles noch immer in körperlichen Reaktionsmustern sehr präsent. Es ist da, wirkt und das um so wirkungsvoller, weil wir es nicht wissen, nicht korrigieren können. Denn diese Muster funktionieren unbewusst und automatisch. z.B. wenn der AfD-Vorsitzende Gaulandden Nationalsozialismus als historischen “Vogelschiss” verharmlost oder der thüringische AfD-Vorsitzende Höckedas Holocaust-Mahnmal in Berlin als “Denkmal der Schande” bezeichnet und eine “Erinnerungspolitische Wende um 180 Grad fordert”.
Heutzutage ist Mobbing der private Kleinkrieg in Schulen, am Arbeitsplatz oder im Internet. Dabei wirkt ein System aus Täter, Opfer, Mitläufern, Zuschauern und Wegschaueren zusammen, wo wie es aus großen Kriegen bekannt ist. Auch da ist die Erinnerung an die eigenen Verletzungen meist verdrängt und der unbewusste Selbst-Hass wird aggressiv auf andere gerichtet; dies auch um andere (mit)fühlen zu lassen, wie es dem Täter und den Mitläufern innerlich geht, während die Zuschauer und Wegschauer erneut an Pastor Martin Niemöller zu erinnern sind: der sagte 1946:
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Insofern ist der Volkstrauertag nicht nur Innehalten, um über die Schrecken des Krieges früher oder überall auf der Welt nachzudenken, sondern ein lebendiger Appell und ein Tag für die Lebenden.
In diesem Sinne, gehen Sie gut mit sich und mit anderen um, … damit wir nie wieder Krieg erleben müssen; nicht in unseren Kinderzimmern, nicht in der Welt.
Vielen Dank Dr. Alfons Lindemann stellvertretender Ortsvorsteher
Die Würde des Menschen ist unantastbar
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und auf körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden. Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
Ich bin mir sicher, dass diese Worte vielen von euch bekannt vorkommen. Es sind die ersten Worte unseres Grundgesetzes. Es ist ihnen eigentlich nichts hinzuzufügen. Und trotzdem stoßen wir im Alltag an unsere Grenzen, dieses Gesetz mit Leben zu füllen. Aber was hat das Grundgesetz und die Würde des Menschen mit dem Volkstrauertag zu tun? Oder anders gefragt, was hat im Panzer zu sitzen, im Kampfuboot zu hocken, oder im Schützengraben zu liegen mit der Würde des Menschen zu tun. 74 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges kämpfen deutsche Soldaten noch immer im Ausland. Können sie sich darauf verlassen, dass sie das Recht auf körperliche Unversehrtheit besitzen? Müssen wir uns nicht Gedanken machen, ob es andere Formen gibt, für Friede und Gerechtigkeit in der Welt zu sorgen, sowie es uns die Mütter und Väter des Grundgesetztes aufgegeben haben? Können wir in der Welt Frieden schaffen, wenn wir Panzer und Granaten verkaufen? Sicherlich trägt dies auch einen Teil dazu bei, dass sich weltweit immer mehr Menschen auf der Flucht befinden. Können diese Menschen sich sicher sein, dass sie nicht wegen ihrer Abstammung, ihrer Sprache oder Heimat und Herkunft benachteiligt werden, wenn sie vor Krieg in der Welt fliehen und nach Deutschland kommen? Sollten wir uns nicht lieber dafür einsetzen, dass wirklich alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind?
Zugleich gibt es immer mehr rechte Parteien in unseren Parlamenten, die die Worte unseres Grundgesetzes nicht akzeptieren. Eine Demokratie muss das aushalten, aber nicht hinnehmen. Die Aufgabe einen jeden einzelnen ist es, sich für Würde, Friede, Freiheit und Demokratie einzusetzen, wo immer sie angegriffen wird. Es heißt zwar, alles Gute kommt von oben, aber alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Was in der Verfassung steht, ist eine Sache. Eine andere Sache ist die Frage, ob und wie die in ihr formulierten Werte auch verwirklicht werden. Darauf kommt es doch an. Unser Staat ist angewiesen darauf, dass die Idee der Menschenwürde, die Grundwerte Freiheit, Gleichheit und Toleranz gelebt werden. Demokratie braucht Bürger, die sich einmischen, die Verantwortung übernehmen, die Engagement zeigen. Das Grundgesetz gibt uns die Freiheit, uns für die humane Gesellschaft einzusetzen. Nutzen wir diese Freiheit, jeden Tag aufs Neue.
Denn die Würde des Menschen ist unverhandelbar, nein, sie ist unantastbar.
Fellingshausen, 16.11.2019, Steffen Balser Vorsitzender der Vereinsgemeinschaft Fellingshausen
Zu unserer Gedenkfeier am heutigen Tage heiße ich (Dr. Alfons Lindemann) Sie alle willkommen. Unser Ortsvorsteher Dieter Synowszik hat mich gebeten, Grüße auszurichten und als sein Stellvertreter die diesjährige Rede zum Volkstrauertag zu halten.
Wie sie von Brunnenfest wissen, bin ich nicht der geborene Redner, eher ein Schreiber. So habe ich mich an die Arbeit gemacht und geschrieben. Doch so ein Text lässt sich nicht leicht fassen, ständig verändert er sich mit jedem Lesen vor meinem inneren Auge. Beim Vorlesen habe Sie also bitte Geduld und Nachsicht mit mir.
Zum Nachvollziehen, Mitnehmen und Weitergeben finden Sie hier vorn einige Exemplare des Textes ausgedruckt. (Zudem, das konnte ich 2017 noch nicht wissen, gibt es nun die Möglichkeit, die Gedanken hier im Biebertaler Bilderbogen zu erhalten und nachzulesen.)
Der Volkstrauertag
ist ein Tag der Erinnerung an die Kriegsopfer … und ein Gedenken an die Schrecken des Krieges … überall auf der Welt, … aber auch ein Tag für die Lebenden, die „nie wieder Krieg, Hass und Verfolgung“ wollen, … nirgendwo!
So möchte ich die Tradition des Versöhnungsfestes aufgreifen, das sich in verschiedenen Formen im Judentum, Christentum und Islam erhalten hat und jeweils als höchster Feiertag gilt.
Bitte geben und halten Sie jetzt Ihren Nachbarn, als Zeichen des Friedens, die Hand. Spüren Sie bitte nach, wie Sie meine Aufforderung spontan empfunden haben: als Einladung und Möglichkeit, der man folgen kann? als Befehl, dem Gehorsam zu leisten ist? als Unverschämtheit, der man Widerstand leisten muss? Bitte spüren Sie auch nach, auf welcher Seite es Ihnen leichter gefallen ist, Ihre Hand zu reichen … oder die angebotene Hand zu nehmen … oder zu merken, dass die ausgestreckte Hand leer bleibt, z.B. wenn Sie am Ende der Reihe sitzen oder Ihr Nachbar keine körperliche Verbindung zu Ihnen aufnehmen wollte oder konnte. Wie fühlt es sich an, sich so nahe zu kommen … vielleicht mit jemand bisher Unbekanntem oder mit einem Bekannten auf eine neue Weise in Kontakt zu kommen … oder eben leer auszugehen?
Ich bin überzeugt, im vertrauten Miteinander gibt es weniger Gegeneinander.
Wenn wir wieder mehr miteinander in Kontakt kommen und etwas miteinander tun und teilen, wird der Friede im Kleinen, die wohlwollende und gelassene Haltung im Alltag wieder Vertrauen ineinander wachsen lassen und die Chance auf den Frieden im Großen erhöhen. Viele Projekte vom Schüleraustausch, über Praktika in anderen Ländern, gemeinschaftliche Kriegsgräberfürsorge, Städtepartnerschaften usw. sind gute Beispiele dafür.
Ich will einen Anfang machen und persönliches von mir mit Ihnen teilen:
Lange blieben mir persönlich die Fakten, auf die ich später eingehe, in den 50er und 60er Jahren des Vorjahrhunderts verschlossen. Man vermied es weitgehend, auch in der Schule, über die dunkle Zeit Deutschlands zu sprechen. So blieb der Volkstrauertag für mich lange bedeutungslos. Auch die Pflicht-Selbsterfahrung von 1½ Jahren Bundeswehr änderte daran nichts; machte mir jedoch die anschließende Kriegsdienstverweigerung wichtig. Noch dazu fühlte ich mich nach der Zeit als Soldat so leer, dass es zumindest das Gute nach sich zog, dass ich zu Lernen begann und viele neue Horizonte erschloss. Ich suchte nach einem anderen, nicht verdinglichenden, nicht in Geld abgewogenen, weniger entfremdeten, menschlicheren Miteinander. Ich kündigte meine Bankkarriere, wurde Arzt und Psychologe. Heute höre ich mir in meiner Arbeit Lebensgeschichten an, suche zu verstehen, was die Menschen bewegt und erarbeite mit ihnen, wie sie von schädigenden Gedanken zu gesünderem und wohltuenderem Verhalten kommen.
Solches >Geschichten erzählen<, persönlich zu werden, schafft Anknüpfungspunkte, so dass Verbindungen entstehen können. Zudem wecken Aufgaben Neugierde und Forschergeist bringt neue Erkenntnisse:
Im Hauptteil der Rede berichte ich über Geschichte
da das Wissen darum unser heutiges Denken verständlicher macht und uns Gefahren für die Freiheit früher erkennen lässt: Ursprünglich wurde seit 1923 in der Fastenzeit vor Ostern, auf Initiative des >Volksbunds deutscher Kriegsgräberfürsorge< ein >Volkstrauertag< gefeiert; als Ausdruck der Trauer um die Toten des Ersten Weltkriegs 1914-18. Der Termin, jetzt am Ende des Kirchenjahres, also in der dunklen Jahreszeit, die mit dem scheinbaren Tod der Natur verbunden ist und gleichzeitig mit der Hoffnung auf Wiedergeburt im Frühjahr, wurde von den Gründervätern der Republik in Abgrenzung zum >Heldengedenktag< im Dritten Reich gewählt. Denn die Umbenennung von >Volkstrauertag< in >Heldengedenktag< 1934 diente damals der psychologischen Einstimmung auf einen neuen Krieg. Ein neues „Vorbild“ wurde für diejenigen geschaffen, (Zitat: Adolf Hitler vom 10. 3. 1940) „die bereit waren, sich selbst aufzugeben, um der Gemeinschaft das Leben zu erhalten“. So erinnerte der Termin 16. März des damaligen Staatsfeiertages denn auch an die Wiedereinführung derallgemeinen Wehrpflicht 1935. Seit 1950 wird dieser >Volkstrauertag< auch in der Bundesrepublik als einer der „stillen Feiertage“ begangen; allerdings jetzt am letzten Sonntag vor dem Advent.
Entsprechend stieß 1956 in der jungen Bundesrepublik die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht auf heftigen Widerstand in der Bevölkerung; ihre Abschaffung 2011 blieb dagegen relativ resonanzlos. Überhaupt scheint das Thema Militär bei uns, inzwischen satten und friedensverwöhnten, Menschen wenig Beachtung zu finden. Wir finden es eher lustig, wenn Mario Barth aufdeckt, dass Ursula von der Leyen 7700 Handtaschen und Umstandskleidung für Soldatinnen ausgibt oder für 200.000 Euro Pizzakartons zur Rekrutenwerbung drucken lässt. Die 6,1 Mio. Euro Steuergelder für Youtube-Werbung, in denen die Bundeswehr als Arbeitgeber mit besten Aufstiegschancen (in den Himmel) geworben wird, sind dann schon nicht mehr lustig. Kaum jemand regt sich noch auf über Deutschlands horrenden Waffenlieferungen – in 2016 fast 3 Milliarden Euro (eine Zahl mit 12 Nullen) – oder die Auslandseinsätze der Bundeswehr seit 1990. Nach offizieller Lesart sind es „friedenserhaltende und friedenssichernde Maßnahmen außerhalb der Bundesrepublik“; faktisch jedoch sind es Einsätze in Kriegen, die seit den Weltkriegen nie mehr aufgehört haben. Beständig sterben Menschen, weil die produzierten Waffen gebraucht und verbraucht werden müssen. Von den weltweiten Beteuerungen „Nie wieder Krieg“, nach den ca. 50 Mio. Toten des zweiten Weltkrieges, ließ sich die Waffenlobby nicht überzeugen, sie verdienen und lassen sterben.
Im allgemeinen Bewusstsein scheinen der Kosovo, wie der nahe und ferne Osten oder Afrika weit weg … ebenso wie die EU-Wirtschafts-Subventionen, die die afrikanischen Bauern arbeitslos machen und hungern lassen. Das änderte sich mit der Flüchtlingskrise 2015, als 1,1 Mio. Menschen zu uns kamen. Absehbar plötzlich standen afghanische, syrische und afrikanische Krisenflüchtlinge vor der eigenen Haustür und es werden – angesichts der drohenden Klima-Krise – mehr werden!
Das löste ambivalente und oft irrationale Gefühle aus: einerseits zeigte sich eine Willkommenskultur, wie man das aus Zeiten der Grenzöffnung der Deutsch-Deutschen-Grenze 1989 kannte, andererseits wurden Ängste ausgelöst: vor dem Fremden, vor Wohlstandsverlust und vor anstehenden Veränderungen allgemein.
Schon in den 70er Jahren warnte der „Club of Rome“ vor den „Grenzen des Wachstums“ und spätestens seit den 1990er Jahren prägt die westliche Welt die Angst vor wirtschaftlichem Abschwung. Immer deutlicher zeigt sich inzwischen, dass der Markt keine Grenzen setzt, dass Liberalisierung, Maschinenlogik und Effizienzsteigerung Sozialabbau, Armut und Unzufriedenheit bewirken. Oft verdrängt, ist doch allen klar, dass es in einer endlichen Welt kein Wachstum gibt. Werbewirksam wird uns da lediglich Umverteilung verkauft; obwohl die Wachstumsideologie einer Eskalationslogik folgt, also ein Selbstzerstörungsprogramm ist.
Leider baden dabei erst Generationen später die großen Folgen von Ausbeutung und Kolonialisation aus. Absehbar plötzlich merkt man, dass man Geld nicht essen kann. Dagobert Duck mit seinem Geldspeicher, als Sinnbild des amerikanisch-westlichen Traums, ist bei genauem Hinschauen eine Zeitungsente. Während wir als Einzelne immer weniger verstehen, wie die globalisierte Welt funktioniert; erleben viele ganz persönlich, wie die laufende Beschleunigung und Arbeitsverdichtung krank machen; wie Sinnleere und Beziehungsbrüche entstehen … und die Angst, abgehängt zu werden. Gleichzeitig nehmen familiäre und örtliche Bindungen ab; persönliche Beziehungen schwinden und die Aufgaben werden von öffentlichen Institutionen „übernommen“. Doch keine Kinderkrippe kann liebende Eltern ersetzen; Schule kann keine Erziehung leisten und schon gar kann sich kein kommerzielles Altenheim oder privatisiertes Krankenhaus liebevolle Zuwendung leisten … usw.
Zunehmend wird weniger Verantwortung übernommen; „Sachzwänge“ schützen vor eigenem „schuldig werden“. Dabei kann man aus Fehlern lernen und sich weiterentwickeln; Fehlervermeidung, am besten „alternativlos“, schafft Stillstand. So können wir beobachten, wie dabei Wertorientierungen verfallen.
Es steigt das subjektive Gefühl der Unsicherheit … und wird durch Medienberichte verkaufsfördernd geschürt. Auch wenn z.B. objektiv, laut Bundeszentrale für politische Bildung, die Zahl der Straftaten 2016, im Vergleich zum Vorjahr, um 1,9 % zurückging. In solchen Verhältnissen ist man chronisch gestresst, kann daher weniger klar denken und sehnt sich nach Übersichtlichkeit und Ordnung, nach Verstehbarkeit und einfachen Lösungen. Und tatsächlich sind sie wieder da die national und engstirnig gesinnten, die Volksverhetzer, die sich im gleichen Atemzug als deren Retter inszenieren, die in einer komplexen Welt einfache Antworten anbieten, die logischerweise keine Lösung – außer Zerstörung – bringen können.
So schön es ist, wenn alles überall zu haben ist, doch heißt Globalisierung eben auch Entdifferenzierung und führt zu Identitätskrisen. Damit haben wir uns selbst den idealen Nährboden für die neuen „Heilsverkünder“ bereitet, die sich inzwischen überall auf der Welt melden. Ob USA, Polen, Ungarn, Türkei usw., überall fördern die Demagogen die Spaltung der Gesellschaften.
Spaltung ist, psychologisch gesehen, ein frühkindlicher, sehr unreifer Abwehrmechanismus, um die eigenen Vorstellungen von der Welt in Takt zu halten. Man macht dabei sozusagen ein Auge zu und lässt einen Teil der Welt aus dem eigenen Bewusstsein verschwinden; man vernichtet diesen Teil … was Ungutes ahnen lässt. Auf dieser frühen Entwicklungsstufe gibt es nur „entweder-oder“, „gut oder böse“, „wir oder die“ … so wie wir es immer auch in der Kriegsrhetorik klingt und in Firmen als Konkurrenzdenken zu hören ist. Dabei verweist das „die“ auf eine gefährliche Entmenschlichung der Anderen, die so zu Feinden definiert werden. In solch naiv gedachter Welt muss man das Böse nur vernichten, damit das Gute übrig bleibt. … bis dahin hat man jedoch so viel gemordet, dass man selbst zum Bösen geworden ist.
Aber um das zu erkennen, müsste man schon eine Entwicklungsstufe weiter sein und die Szene aus einer dritten Position beobachten können. Diese Triangulierungs- und Reflektionsfähigkeit entwickelt sich allerdings erst ab dem 3.-4. Lebens- bzw. Entwicklungsjahr. Erschreckenderweise wird dieser Reifegrad zunehmend seltener erreicht; viele bleiben im selbstbezüglichen „Selfie“-stadium hängen und widmen ihre Aufmerksamkeit oberflächlicher Selbstopitmierung. Je unreifer die Erwachsenen, umso weniger können sie ihren Kinder helfen, sich weiter zu entwickeln. Entsprechende Klagen höre ich zunehmend aus Kindergärten und Schulen.
Je erwachsener man in seiner Entwicklung wird, umso differenzierter stellt sich die Welt dar, umso mehr muss man lernen Komplexitätund damit Unkontrollierbarkeitauszuhalten.
Kein Rückgriff auf frühere, also kindliche oder nationalistische Verhaltensmuster, wird eine brauchbare Antwort auf die komplexen Bedingungen in der Welt bieten. Es wird keine separaten Lösungen mehr geben; viel zu sehr hat der Mensch die Welt – in geschichtlich relativ kurzer Zeit – verändert! All die Versuche, aus egoistischen Interessen, die globalen Herausforderungen, wie Klimawandel, Wassermangel usw., zu verleugnen, werden unseren Kindern und Enkeln teuer zu stehen kommen.
Trotzdem, wie wir aus repräsentativen Erhebungen wissen, haben durchgängig ca. 20-30 % der Bevölkerung noch immer eine rechte Gesinnung. Die seit 2002 durchgeführten „Mitte Studie“ zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland zeigen bevölkerungsrepräsentativ eindeutige Ergebnisse:
Es gibt auch 2016 (nach dem Flüchtlingsstrom Richtung Deutschland 2015) keine Zunahme rechtsextremer Einstellungen.
Es gibt jedoch eine zunehmende Polarisierung – Sie erinnern sich: „wir und die“ – und eine Zunahme von Gewaltbereitschaft und Aggressionen gegen Muslime, Sinti, Roma und Asylsuchende.
Rechtsextreme haben in der AfD eine Heimat gefunden.
Die rechte Gesinnung wurde jetzt “lediglich” wieder hoffähig und führte in der politischen Parteienlandschaft zu erdrutschartigen Umbrüchen. Sich deshalb an rechten Parolen zu orientieren, hätte schlimme Folgen für unser Zusammenleben.
Hier bekommt der >Volkstrauertag< wieder eine ganz aktuelleBedeutung: Denn wieder gilt: „Wehret den Anfängen“. Hier sei an Pastor Martin Niemüller (1890-1984) erinnert, der 1937 im nationalsozialistischen KZ Dachau schrieb:
„Erst kamen sie für die Sozialisten – Und ich habe nichts gesagt, denn ich war kein Sozialist. Dann kamen sie für die Gewerkschaftler – Und ich habe nichts gesagt, denn ich war kein Gewerkschaftler. Dann kamen sie für die Juden – Und ich habe nichts gesagt, denn ich war kein Jude. Dann, kamen sie für mich – Und da gab es keinen Menschen, der für mich etwas sagen konnte.“
Heute, hier, 80 Jahre danach, erinnere ich daran, dass Frieden, Freiheit, Arbeit, Wohlstand, Bildung und Glück, Abwesenheit von Hunger und eine gute medizinische Versorgung keine Selbstverständlichkeiten sind.
2016 geben die USA 611 Milliarden, China 215, Russland 69, Saudi Arabien 63 und an 9. Stelle die BRD 41 Milliarden Dollar angeblich für „Verteidigung“ aus. Für Bildung und Forschung hingegen wurden im Haushalt 2016 in der BRD, die sich ironischerweise „Bildungsgesellschaft“ nennt, lediglich 16,4 Milliarden Euro – weniger als die Hälfte! – ausgewiesen.
Die Aufklärung ab 1700 hoffte, durch rationales Denken alle den Fortschritt behindernden Strukturen zu überwinden. Mittlerweile wissen wir, dass Gefühle und nichtrationale Beweggründe deutlich im Vordergrund menschlicher Entscheidungen stehen.
Da liegt noch viel Arbeit (an uns selbst) vor uns! Ohne dass wir die Selbstentfremdung überwinden, ohne dass wir mehr Eigenwahrnehmung schulen und damit Raum für Empathie schaffen, wir es wohl so weitergehen, wie gehabt.
Wir könnten dazu auch vorausdenkend Geldflüsse zukunftsorientiert leiten, statt der Gier Raum zu gestatten. Denn heute geht es uns wirtschaftlich sehr gut.
Das war nach dem Krieg anders, als von 1945-50 10,7 Mio. Menschen, also 10mal so viele wie heute, zu uns kamen. Trotzdem wurde die Integration gemeistert. Zugegeben, die hatten ähnliche religiöse Hintergründe und ähnliche kulturelle Werte. Und doch waren sich z.B. Katholiken und Protestanten untereinander so wenig grün, dass man untereinander nicht heiraten konnte; dass Waisenkinder in Familien aufgenommen wurden, um sie auf keinen Fall der anderen Religion in die Hände fallen lassen wollte.
Viele Heimatvertriebene kamen auch nach Fellingshausen; von einem Tag auf den anderen waren sie damals da und mussten versorgt und untergebracht werden. Die Älteren werden sich erinnern, wie schwer es war, als anders zu gelten und nicht dazu zu gehören, eine andere Sprache zu sprechen, andere kulturelle Werte gewohnt zu sein. Auch heute gibt es bei den Einheimischen das unbehagliche Gefühl: da kommen viele Menschen, die haben wollen, was „ich“ hart erarbeitet habe! Selbst wenn ich die Gründe der Flucht verstehe, bleibt ein Gefühl der Ungerechtigkeit: Werde ich etwa für meine Leistungen gewürdigt? Und, … wurde ich zuletzt nicht schon genug von den Managern, Politikern und Banken betrogen? … nach dem Motto: „Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert“, wie Karl Marx das 1848 ausdrückte.
Selbstverständlich schafft das Unzufriedenheit, die ein Ventil braucht: aber keine Hooligans, Ultras oder Terroristen, kein „dagegen“, … sondern intelligenter Weise ein konstruktiv streitendes, demokratisches Miteinander, ein überlegtes „wofür“ und „wohin“. Dabei braucht es immer wieder ein Unterstellen von Wohlwollen und Engagement für das Allgemeinwohl, … das immer auch am egoistischen Interesse des Einzelnen interessiert sein muss … auch wenn der am Ende im Kompromiss nur einen Teil seiner Wünsche realisiert bekommt. …
Das gilt es auszuhalten! … geht aber nur, wenn man rechtzeitig Frustrationstoleranz erlernt hat.
Egoismus, so erkläre ich das in meiner Praxis immer an meinem Kartoffelacker, den ich in Rodheim hinter dem Haus hatte: „wenn ich egoistischerweise dicke Kartoffeln wollte, musste ich den Boden düngen, die Pflanzen pflegen“. Sytemisch gesehen, kann es mir nur Gutgehen, wenn es meiner Umgebung gut geht.
So ist das auch in der Gemeinde, wie man schön am diesjährigen Brunnenfest in Fellingshausen sehen konnte.
Als Fazit meiner Eindrücke zum >Volkstrauertag<
ist dieses Gedenken und Bedenken ein Tag geworden, der die Sehnsucht nach Frieden und Kooperation zum Ausdruck bringt. Wenn all die Toten nicht umsonst gestorben sein sollen, gilt es, den Auftrag ernst zu nehmen, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen und den nächsten Generationen weiterzugeben.
Das ist, ähnlich wie beim Thema Klimanwandel, nur zu schaffen, wenn wir es zu unserem gemeinsamen Projekt machen. Denn wenn der andere nicht als Konkurrent um knappe Ressourcen gesehen wird, sondern als Bereicherung durch Zusammentragen von Wissen und Können, … dann sind wir in unserer Gemeinschaft deutlich besser aufgestellt. Dann liegt die Aufmerksamkeit nicht auf Missgunst, sondern auf gemeinsamem Mit-gestalten und Zusammenarbeit; so wie es z.B. die Vereinsgemeinschaft in Fellingshausen in vorbildlicher Form tut und ebenso die vielen Einzelgruppen, die sich in und für unsere Gemeinde engagieren.
Da sind wir ganz nahe an der Ursprungsidee zum >Volkstrauertag<, wo es in den 50er Jahren hieß: „die Deutschen sollten durch ein gemeinschaftliches Gedenken ihrer Kriegsopfer als Volk zusammenwachsen. Unabhängig von Gesinnung, Religion oder sozialem Status könne hier eine Einheitlichkeit entstehen“.
Heute erscheint die Idee eines „Volkes“ absurd, denn: wer wollte definieren, wer dazu gehört und wer nicht? Die meisten Germanen z.B. leben in Polen – das belegen genetische Untersuchungen. Letztlich lebt Entwicklung durch den Austausch von Genen, wie Ideen. Inzwischen ist unser Erbgut entschlüsselt; es zeigt, dass die Wiege aller heute lebender Menschen – schwarz, braun, weiß, rot, gelb – in Afrika stand. Unsere Gene zeigen, dass wir alle Brüder sind.
Die Rassenideologie der NS-Diktatur hat sich im Zuge wissenschaftlichen Fortschritts als großer Schwindel entpuppt. Ebenso ist die Vorstellungen überholt, Konkurrenz sei das wichtigste Überlebensprinzip. Dieser Gedanke des „Survival of the fittest“, vom britischen Sozialphilosophen Spencer 1864 formuliert, wurde ja von der NS-Ideologie für sich funktionalisiert. Heute wissen wir: schon Kleinstkinder kooperieren und lassen sich von uneigennützigen Impulsen leiten; … bis mehr und mehr kulturelle Prägungen Raum greifen und die Resonanz- und Bindungserfahrungen im Miteinander weniger werden. Das bestätig sich in erschreckender Weise, wenn man hört, dass Kinder ca. 400 mal / TagLächeln und Lachen, Erwachsene dagegen nur noch ca. 15 mal. Dabei ist Lachen außerordentlich Gesund; wie alles, was in Bewegung ist; während alles Erstarrte und Chronische schwerste Krankheiten oder – auf gesellschaftlicher Ebene – Konflikte nach sich zieht.
Die meisten von uns haben nie so etwas schreckliches, wie Krieg, Hunger, Vertreibung usw., erlebt; … aber auch nicht die enge Kameradschaft und Verbundenheit, die in der Not geboren wird: man ist aufeinander angewiesen … und spürt dies leibhaftig. An der Bushaltestelle vor unserer Grundschule steht: „Jeder hilft jedem“. … Das ist wichtig und gut zu lesen, … am besten jeden Tag! Und dennoch erreichten wir Zäune und pflegen den Individualismus; und spüren bedrückende Einsamkeit. So hat mit wachsendem Wohlstand die Zufriedenheit in unserem Lande seit 1945 kontinuierlich abgenommen. Glück ist offensichtlich nicht an Wohlstand gebunden.
Denn kein materieller Wohlstand und kein staatliches Sicherungssystem kann das Erleben von echter Beziehung und Sicherheit in der Gruppe ersetzen; … weil Bindung evolutionär mit besseren Überlebenschancen verknüpft ist. Daher kann man Kinder auch nicht mit Zuwendung oder Berührungverwöhnen, wie man das Anfang des 20. Jahrhunderts dachte … und damit folgsame Soldaten produzierte. Allerdings darf man auch nicht versäumen, Grenzen und Regelnaufzuzeigen, da sowohl Schutz (Begrenzung in realer Gefahr) wie Trost (regelhaft zu erwarten, bei echtem Bedarf, wenn das Kind sich nicht selbst zu ordnen und zu beruhigen weiß) wesentlich sind fürein funktionierendes „Ich“, das sich in eine Gemeinschaft integrieren kann. Zentral dafür ist realer, wiederholter, zuverlässiger Kontakt, nicht medialer per „what´s app-Nabelschnur“ oder „Tablet-Schnuller“. Viele Gehirnzellen reagieren nicht einmal auf zweidimensionale Bilder; viele bewegte Bilder können nur mit Vorwissen verstanden und verdaut werden. ADHS und Co., wie auch allergische Reaktionen, nehmen also nicht ohne Grund zu. Ebenso sterben heute weit, weit mehr Menschen an Fehlernährung, Übergewicht und seinen Folgen, an Krebs, Unfällen, Medikamenten- und Drogenkonsum, Depression oder Krankenhauskeimen, als durch Terroristen oder Rinderwahnsinn. Statistisch ist es eben so, dass Seltenes selten ist und Häufiges häufig.
Wir leben hierzulande an einem der sichersten Orte der Welt – auch wenn die Medien uns anderes suggerieren. Wir sollten also unsere Kraft da investieren, wo es Sinn macht: Zukunft braucht Zuwendung und Investitionen dort, wo das Leben weitergeht – bei unseren Kindern. Die wiederum brauchen weise und fähige Erwachsene. Um das zu erreichen braucht es vielfältigen Austausch, Reflektion, Rückmeldungen und immer wieder: die eigen Entwicklung. Denn nur auf uns selbst lässt sich zuverlässig Einfluss nehmen; allerdings können wir einladen und teilen; … das macht sogar glücklich, wie die Glücksforschung zu berichten weiß.
Es gibt also viele hinreichend Gründe, Angst oder Hoffnung und liebevolle Zuwendung zu entwickeln; zu gedenken und zu bedenken: Letztlich bleibt es unsere eigen Entscheidung, wovon wir uns leiten lassen, wo wir hinschauen, welche Haltung wir einnehmen, was wir interpretieren und welche Bedeutung wir geben.
Ein Zurück in der Zeit gibt es nur in der Phantasie; es gibt aber die Wahl, sich verantwortlich im Rahmen seines Wissens und seiner Möglichkeiten, jeder an seinem Ort, zu engagieren; Hass und Misstrauen entgegenzutreten und gut für sich zu sorgen, indem jeder das Gemeinwohl stärkt. Zeit hat jeder jeden Tag 24 Stunden. Es ist eine Frage der Prioritäten, wohin die Aufmerksamkeit geht und welches Erleben wir damit erzeugen. Fangen wir nicht im Kleinen an, kann kein Schneeballeffekt im Großen wirken.
„Wir haben nur die Welt, die wir gemeinsam mit anderen hervorbringen.“Maturana und Varela (1984)
Wir sollten also wieder, wie hier und heute, mehr Zeit darauf verwenden, einander kennen zu lernen, Geschichten zu erzählen, Fragen zu stellen und zu beantwortet, etwas zusammen zu tun und zu bewegen … und uns der Wechselwirkungen bewusst zu werden, … (wie z.B. in dem friedvollen Miteinander Ihrer Hände, die Ihnen vielleicht erst jetzt wieder bewusst werden und mit einem freundlichen Verabschieden nach links und rechts losgelassen werden können) statt in platten „entweder-oder“-Ursache-Wirkungs-Schuld-Zusammenhängen zu denken. Dann sieht die Welt anders aus, … bunter, erwachsener. Gelassener bieten dann Beziehungen und Vertrauen echten Schutz.
Mir jedenfalls scheint, dass in konstruktiven Auseinandersetzungen, im Geben und Nehmen, im Teilen und Mit-teilen unsere menschlichen Stärken liegen.
Ich wünsche Ihnen allen viel davon; herzlichen Dank.
Der folgende Text entstammt einem Referat bzw. einer Jahresarbeit, die Christoph Haus aus Frankenbach im letzten Jahr seiner Schulzeit schrieb:
Yoshihiro Kimura, 1945 Schülerin der 3. Klasse, schreibt 1951 in der 9. Klasse ihre Erinnerungen auf
Jeden Tag um die Zeit musste ich das Bad heizen. Danach ging ich dann meistens an meine Hausaufgaben. Gegen fünf holte ich Vater und meine große Schwester an der Straßenbahnhaltestelle ab und wir gingen nach Hause und aßen zusammen Abendbrot. So lief ei uns damals jeder Tag ab.
Am Morgen des 6. August blieb Vater im Bett, weil er leichtes Fieber hatte. Mein Bruder kochte sich Tintenfisch, den er bei der Arbeit essen wollte. Nachdem alle das Haus verlassen hatten, waren wir noch vier: ich, Mutter, Vater und meine Schwester. Dann machten meine Schwester und ich uns für die Schule fertig. Meine Schwester ging zum Hauptgebäude, ich zu der Zweigstelle im Tempel. Ich und meine Freunde redeten über den Krieg. Da hörten wir Fliegeralarm. (Das waren die Aufklärungsflieger der Amerikaner. Anm. d. Verf.) Ich lief nach Hause und spielte dort eine Weile. Ich war das alles schon gewohnt, dann wurde Entwarnung gegeben und ich ging wieder zur Schule. Unser Lehrer war noch nicht da und so schwatzten wir miteinander. Ungefähr um die Zeit hörten wir das Geräusch eines Flugzeugs und wir sahen es, sehr klein, am südöstlichen Himmel. (Das war der B-29-Bomber Enola Gay mit seinen beiden begleitenden Messflugzeugen. Anm.d.Verf.) Es wurde immer größer und war bald direkt über uns. Ich beobachtete es die ganze Zeit; ich wusste nicht, ob es ein amerikanisches Flugzeug oder eines von unseren war.
Plötzlich fiel etwas weißes, wie ein Fallschirm, aus dem Flugzeug. Fünf oder sechs Sekunden später wurde alles gelb. Es war, als hätte ich direkt in die Sonne geblickt. (Aufgrund der enormen Energiedichte steigen die Temperaturen im Innern der Bombe rapide auf 60 bis 100 Millionen Grad Celsius an. Anm.d.Verf.) Dann gab es ein oder zwei Sekunden später einen gewaltigen Krach und alles wurde dunkel. Steine und Ziegel fielen mir auf den Kopf und für eine Weile war ich bewusstlos. Dann wachte ich wieder auf, weil schwere Holzstücke auf mich fielen und mich am Rücken verletzten. Ich kroch ins Freie. Überall lagen Menschen auf dem Boden. Die meisten von ihnen waren verbrannt und ihre Gesichter waren schwarz. Mir war besser, als ich auf die Straße kam. Da spürte ich plötzlich, dass mein rechter Arm weh tat. Vom Ellenbogen bis zu den Fingern hatte sich die Haut abgelöst. Ich versuchte, den Weg nach Hause zu finden. “Sumi-chan!” schrie jemand. Ich drehte mich um und sah meine Schwester. Ihr Kleid war zerfetzt und ihr Gesicht völlig verändert. Wir gingen beide nach Hause, aber unser Haus war eingestürzt und niemand war da. Wir suchten in der Nachbarschaft. Als wir wieder zurückgingen, fanden wir Vater, der etwas unter dem heruntergefallenen Dach hervorzuziehen versuchte. Er gab auf und kam zu uns. “Wo ist Mutter?” fragte ich. “Sie ist tot”, antwortete er leise. Als ich das hörte, hatte ich das Gefühl, man hätte mich auf den Kopf geschlagen. Ich konnte nicht mehr klar denken. Etwas später fragte Vater: “Was ist mit deinem Kopf los?” Ich fasste an meinen Hinterkopf. Er fühlte sich rau an und war nass von Blut. Ein etwa zehn Zentimeter langer Nagel hatte Mutter am Kopf getroffen. Sie war auf der Stelle tot. Dann begann es zu regnen. Die Regentropfen sahen wie schlammiges Wasser aus. Wir suchten Schutz unter einer noch schwelenden Eisenbahnbrücke. Bald hörte der Regen auf. Uns war kalt und wir gingen in die Nähe von brennenden Häusern, um uns aufzuwärmen. Es waren viele Menschen dort. Aber kaum einer unter ihnen sah normal aus. Sie hatten geschwollene Gesichter und schwarze Lippen. Ein Mann schwenkte die japanische Fahne, als ob er den Verstand verloren hätte und brüllte “Banzai, banzai!”. ((japanisch 万歳, dt. wörtlich „zehntausend Jahre“, sinngemäß „unzählige Jahre, sehr lange Zeit“ leben) ist in Japan ein Hochruf, der Freude und Glück für „10.000“ Jahre bringen soll. Anm.d.Verf.) Ein anderer schwankte umher und sagte: “Ich bin ein General.” Ich war sehr durstig und ging zum Fluss, um einen Schluck Wasser zu trinken. Viele schwarze Körper von Toten trieben den Fluss hinunter. Ich musste sie immer wieder wegschieben, während ich trank. Am Ufer lagen Leichen, einige Körper bewegten sich noch. Ein Kind weinte: “Mutter, Mutter.” Schon jetzt dachte ich nicht weiter darüber nach, wenn ich Leichen sah. Einige Menschen kamen taumelnd die Böschung herauf und fielen dann in den Fluss und starben. Meine Schwester fiel auf der Straße hin, vielleicht, weil sie schwere Verletzungen hatte. Vater nahm sie auf den Rücken und legte sie auf ein Stück Erde, das die Flammen schon hinter sich gelassen hatten. Gegen Abend kam mein Bruder zurück. In jener Nacht bauten wir einen Schuppen und schliefen darin. Aber Hilferufe und qualvolles Stöhnen waren die ganze Nacht über zu hören und störten ständig unseren Schlaf. Ich döste und wachte immer wieder auf. Es dämmerte. Mein Bruder machte sich auf den Weg zu unseren Verwandten auf dem Land, um sich einen Karren zu leihen und kam gegen drei Uhr zurück. Dann wurden meine Schwester und ich auf den Karren gelegt und wir alle zogen los. Als wir das Haus unserer Verwandten erreichten, brach Vater beinahe zusammen, vielleicht weil er sich jetzt keine Sorgen mehr um uns machen musste. Als es Nacht wurde, fühlte ich mich sehr allein. Gesten Abend um die Zeit, dachte ich im Stillen, ging es Mama noch gut und jetzt ist sie tot! Zwei meiner Geschwister wurden noch vermisst. Nur Vater, ein Bruder, eine Schwester und ich waren jetzt noch von meiner Familie übrig. Wir sagten nichts, wir starrten nur ins Leere. Als ich zur Toilette ging, rief ich: “Mutter!”, aber Mutter war nicht mehr da. Als mir klar wurde, dass sie wirklich tot war, wurden meine Einsamkeit und meine Traurigkeit noch größer. Ich vergoß bittere Tränen. Der Gedanke, ich würde ihr sanftes Gesicht nie wiedersehen, erstickte mich fast und mir wurde schwindelig. Dann sagte Großmutter: “Mutter ist jetzt ein Buddha. Wenn du sie sehen möchtest musst du ihn bitten.” Obwohl Vater sie mit eigenen Augen sterben sah, konnte ich dennoch nicht glauben, dass sie tot war. Dann traf uns ein weiteres Unglück. Gegen drei Uhr morgens am 15. starb meine Schwester. Als ich aufwachte, war sie schon tot. Es muss ein schwieriger Tod gewesen sein, denn ihre Augen waren geöffnet. Sie schien mich anzustarren. Ich schrie: “Schwester” und schüttelte sie, aber auch sie war zu einem Buddha geworden. An dem Tag ging der Krieg zu Ende. (In Japan am 15. August 1945) Einige Vermisste kehrten nach und nach zurück. Ich hatte das Gefühl, dass auch Mutter zurückkehren könnte. Aber obwohl ich so darauf wartete, war natürlich jede Hoffnung umsonst. So hoffte ich, dass wenigstens meine ältere Schwester nach Hause kommen würde. Inzwischen war mein ältester Bruder aus der Armee entlassen. Jeder Tag war voller Einsamkeit. Allmählich gewöhnte ich mich an den Gedanken, dass meine Mutter und meine Schwester tot waren und ich begann, mich damit abzufinden. Die sterblichen Überreste meiner älteren Schwester wurden nie gefunden, aber Vater erhielt Asche von einer Massenverbrennung. Aber wie sehr ich es auch versuchte, ich konnte meine Mutter nicht vergessen. Der liebste Mensch. Zwei meiner Schwestern waren auch sehr lieb. Mutter backte immer Pfannkuchen für mich, wenn ich aus der Schule kam. “Oh, liebe Mutter, gute Mutter! Wo bist du jetzt?” Sie ist sicherlich an einen besseren Ort gegangen. Ich stelle mir Mutter oft im Himmel vor, wunderschön gekleidet, wie eine Göttin. Sie sagte immer: “Kinder, seid gut zueinander.” Später zogen wir nach Hiroshima zurück und jetzt habe ich eine zweite Mutter. Aber immer, wenn es etwas gibt, über das man schwer mit anderen Menschen sprechen kann, vermisse ich meine richtige Mutter sehr. Ich hasse den Krieg jetzt aus tiefstem Herzen. Nur der Krieg ist Schuld daran, dass meine gute Mutter und meine Schwestern getötet wurden. Ich hasse den Krieg. Ich möchte, dass es nie wieder einen so verabscheuungswürdigen Krieg gibt. Krieg ist der Feind eines jeden Menschen. Mutters Seele im Himmel wird glücklich sein, wenn wir Kriege verhindern und Frieden auf der Welt herrscht.
Quelle: Hermann Vinke – Als die erste Atombombe fiel. Kinder aus Hiroshima berichten. Ravensburger Taschenbücher, 1998
Vor jetzt genau 40 Jahren habe ich dieses Büchlein in Hiroschima gekauft, nicht wissend, was ich damit einmal tun kann, wem ich das zeigen und zumuten kann. Gerade lese ich in der Wochenendausgabe im Gießener Anzeiger (01.07.2020) den gleichnamigen Artikel, sehe das Bild vom Atompilz und erinnere mich. Der Schreck sitzt tief. Noch immer kann ich das Grauen nicht fassen, was mich damals am Memorial-Dom in Hiroshima ergriffen hat. Ähnlich erging es mir nur auf dem Gräberfeld in Verdun, in Buchenwald und im Holocaust Memorial Museum in Washington. Wer Gelegenheit hat das zu besuchen: nicht zögern!
Offenbar braucht es viele Jahre, um über das Grauen sprechen können. Ähnlich wie bei mir gerade, sehen wir es bei den Kriegsteilnehmern, -opfern, -kindern hier, die erst im hohen Alter – nach langer Verdrängung – Worte für das nahezu Unaussprechliche finden . Hier ein History-Video.
Damals, friedensbewegt Anfang der 80er Jahre, habe ich mich angesichts der folgenden Bilder gewundert, wie wenige Demonstranten am Tag es Bombenabwurfes am 6. August 1945 gegen Atomkraft protestierten. Und auch in Nagasaki, wo eine zweite Bombe am 9. August 1945 fiel, sah ich neben den wenigen Offiziellen, die der Opfer gedachten, nur wenige Demonstranten.
Fotos: Lindemann
Little Boy (englisch für Kleiner Junge) war der Codename der ersten militärisch eingesetzten Atombombe, Die Kernwaffe mit einer Ladung aus Uran war ab Anfang 1942 im Zuge des Manhattan Projects entwickelt worden und erreichte eine Sprengkraft von etwa 13 KilotonnenTNT.
Bei der Kernwaffenexplosion und dem von dieser initiierten Feuersturm starben unmittelbar 20.000 bis 120.000 Menschen. Viele der Überlebenden („Hibakusha“) starben an der damals noch unerklärlichen Strahlenkrankheit oder leiden bis heute an den Spätfolgen der aufgenommenen radioaktivenStrahlenbelastung. Zudem wurden sie viele Jahre sozial geächtet.
Drei Tage später wurde auf Nagasaki die zweite Atombombe Fat Man (englisch für Dicker Mann) abgeworfen. Diese nutzte Plutonium als Spaltmaterial und war mit 21 Kilotonnen TNT-Äquivalent wesentlich stärker.
Kurz nach der Kapitulation Japans kamen amerikanische Inspektoren, um das Ausmaß der Schäden genau zu dokumentieren. Alles wurde erbarmungslos festgehalten, um zu verstehen, was man da eigentlich angerichtet hatten. Auch die Strahlenopfer wurden akribisch über viele Jahrzehnte untersucht – und nur das. Niemand wurde von amerikanischer Seite behandelt – was viele weitere Tote hätte verhindern können, die noch – wegen der strahlenbedingt geschädigten Immunabwehr – an Infektionen starben.
Um die Ihre Kapitulation hatte sich Japan, wie man heute aus historischen Quellen weiß, längst diplomatisch bemüht, so dass der Atombombenversuch völlig unnötig war. Die Tests befriedigten lediglich militärische Neugier und sollten anderen Staaten die Stärke der USA demonstrieren. Der Atombombenabwurf war also nicht notwendig, um den Krieg zu beenden, wie es von der offiziellen Propaganda verbreitet wurde. Aber auch von japanischer Seite wurde nichts unternommen, um den 5 Stunden währenden Anflug der amerikanischen Bomber zu stoppen oder die Einwohner in den Städten zu warnen. Offenbar hatte jeder der Verantwortlichen Angst, sein Gesicht zu verlieren und der offiziellen Meinungslenkung, man stehe kurz vor den Endsieg, entgegenzutreten. Letztlich führte diese Strategie dazu, die Monarchie in Japan zu erhalten.
Angesichts solcher Bilder, solcher Informationen, kann man nur das Grausen bekommen. Aber leider sind ähnliche Bilder seit damals all zu oft in den Nachrichten zu sehen. Damit sind sie zwar im eigenen Wohnzimmer ganz nah, erzeugen Angst und zugleich sind sie doch so fern und stören kaum bei Pizza und Bier. Wir haben gelernt, uns von solchen Bildern und Nachrichten innerlich zu distanzieren, so zu tun, als ob uns das nichts anginge. Wir leben mit unseren Waffenexporten und den Grundgesetztübertretungen der von hier aus gesteuerten amerikanischen Drohnenflüge oder den Atomwaffen auf unserem Boden, mit den Lebenmittelexporten nach Afrika, den Stellvertreterkriegen überall auf der Welt, den Toten im Mittelmeer usw.
Dabei ist das menschliche Leid unvorstellbar, ja tatsächlich kaum auszuhalten. Da ist es verständlich, ja menschlich und ein Glück, dass wir verdrängen können. Und dennoch darf nicht vergessen werden, damit wir Morgen nicht die Fehler von Gestern wiederholen!
Die Wucht der Hitze in Hiroshima ließ an manchen Stellen von einem Menschen nur noch seinen eingebrannten Schatten im Stein übrig. Viele wurden von der Wucht der Druckwelle und den umherfliegenden Splittern getroffen. Weitere verbrannten in der damals noch weitgehend hölzernen Großstadt. Und wer nicht so nah am Epizentrum der Explosion war, litt an den Folgen der atomaren Strahlung, am verseuchten Wasser, bekam Krebs oder missgebildete Kinder.
Dennoch begann Japan bereits 1954 mit einem Nuklearforschungsprogramm. Der erste Versuchsreaktor ging 1963 in Betrieb; 1966 folgte der erste kommerziell genutzte Reaktorblock. Aktuell sind – trotz des Supergaus 2011 in Fukushima – 55 Reaktoren am Netz und versorgen das Land mit Energie. Quelle: Fokus
Als 1986 das Kernkraftwerk Tschernobylin die Luft flog und bald klar wurde, dass die radioaktiven Partikel sich mit dem Wind auch bis zu uns verbreiten, so erinnere ich, war die Sorge um unsere Kinder groß. Aus dem Gefühl der Hilflosigkeit tauschten wir den Sand in Sandkästen aus! Im Haus bleiben! Wie mit dem Gemüse aus dem Garten umgehen? Wie den Kindern erklären? … all das beschäftigte uns – ähnlich wie heute angesichts der anderen unsichtbaren Bedrohung: corona covid 19 sars cov 2! Noch heute kann z.B. in Bayern kein Pilz, kein Wild aus dem Wald verzehrt werden, da alles noch immer heftig radioaktiv verstrahlt ist. Dennoch tun wir längst so, als ob es das alles nicht gäbe.
Uran hat eine Halbwertszeit von 703,8 Mio. Jahren, Plutonium-239 von 24.110 Jahren. Die Halbwertszeit ist die Zeitspanne, in der die Radioaktivität auf die Hälfte des anfänglichen Werts abnimmt.
Psychologische gesehen verdrängen wir, belügen uns selbst, da wir die unangenehme Spannung, das Widersprüchliche nicht aushalten, nicht nebeneinander da sein lassen können. Die Welt soll bitte klar, überschaubar, planbar, kontrollierbar und einfach sein! Paradoxerweise – ohne den Widerspruch wahrzunehmen – wünschen sich viele, alle Freiheiten zu genießen (wie ein Kind und ewig jung) und zwar im Schutz (und in Abhängigkeit von) einer starken Elternfigur, die alles richtet. In der politischen Landschaft allerdings sind solche starken Führer oft problematisch. Denn die Diktatoren dieser Welt sind in der Regel traumatisierte Kinder, die letztlich ihr Trauma in den höchsten politischen Ämtern re-inszenieren und viel Unglück und Unfreiheit über die Menschen bringen. Und auch die Vorstellung “allein”, also nationalstaatlich, könnten wir es besser haben, kann nur eine Illusion sein, da alles mit allem zusammenhängt und wir als Spezies nur gemeinsam die Chance haben, über eine längere Zeit auf dem Planeten vorzukommen. Die Dinosaurier schafften es 180 Mio. Jahre. Die ersten menschenähnlichen Wesen lebten vor 4,2 Millionen Jahren.
Alternativ zu Modellen der Abhängigkeit und Folgsamkeit müsste (erwachsen, informiert) Eigenverantwortung übernommen werden und Entscheidungen zu Kooperation selbst verantwortet werden. Demokratie ist eine der möglichen Lösungen, für die wir uns stark machen sollten, die wir vor Ort und im größeren Zusammenhang als gewaltfreie Kommunikation einüben könnten.
Angesichts des aktuell besonders in den Fokus gerückten Risikos, an einer Infektion zu erkranken oder gar zu sterben, scheint es derzeit nichts anderes Schreckliches zu geben, als Viren. Die aber gibt es seit Jahrmillionen und wir haben als Spezies gelernt, damit zu leben. So wird es auch mit dem neu menschenpathogen wirksamen Corona-Virus sein. Er wird nicht aus der Welt verschwinden. Impfstoffe werden uns bedingt schützen; aber wir werden lernen müssen, mit diesem Risiko zu leben, so wie mit vielen anderen auch. Denn am Ende ist das Leben eben eine todbringende Daseinsweise.
Den Atomirrsin jedoch haben wir selbst geschaffen, der erste militärische Einsatz ist erst 75 Jahre her! Hier liegt es in unserer Hand, ob wir da weitermachen wollen oder ob wir einen humaneren Weg finden, zusammen miteinander auszukommen.
Wir sollten nicht vergessen! Denn, wer seine Geschichte nicht kennt, ist gezwungen vieles zu Wiederholen.
Wandervorschlag von Ernst Döpfer, Biebertal-Fellingshausen
Beginn und Ende der Wanderung ist der Parkplatz neben dem Hotel-Restaurant “le Chalet”. (Das Le Chalet hat aktuell -Anfang April 2021 – wieder geschlossen, in älteren Karten ist es als Hotel Keltentor eingetragen) An der Kreisstraße 353, die die Ortsteile Fellingshausen und Bieber verbindet, folgen Sie der Beschilderung zum Parkplatz bergan. Man findet sie auf der dem Dünsberg zugewandten Seite.
Im Fichtenwäldchen neben dem Parkplatz sieht der Wanderer die Reste der ehemaligen Förderstätte der Grube Friedberg, in der bis in die 1960er Jahre Brauneisen und Manganerz abgebaut wurde. Hinweisschilder an den Bäumen informieren über den Biebertaler-Bergbau. Interessierte finden, wenn Sie den Weg unterhalb des Hotels ein Stück Richtung Osten gehen, weitere Tafeln zum Thema Bergbau.
In Richtung Westen finden die Wanderfreudigen am Fichtenwäldchen die Beschilderung des Kelten-Römer-Pfades:
Auf dem gut markierten KR-Pfad geht es durch den Wiesengrund zum “Heegstrauch”. Ein kurzes Stück bevor dieses Waldstück erreicht wird, muss die Kreisstraße 24 zwischen Biebertal-Fellingshausen und Biebertal-Rodheim-Bieber überquert werden. Wenigie Schritte weiter steht man vor dem Naturdenkmal “Toteneiche”.
Nach Frank Reif gab es ab 1819 in Fellingshausen einen Friedhof. Es gab aber immer wieder Auseinandersetzungen mit Pastoren, die keine Lust hatten, sich auf den Weg nach Fellingshausen zu machen. Daher ließen sie sich die Trauerfeiern dort ziemlich teuer bezahlen. Möglicherweise aus gleichem Grund waren Beisetzungen in Fellingshausen nur bei Extremwetterlagen gestattet. (Im Biebertaler Archiv soll es einen Briefwechsel zwischen dem Bürgermeister und einem besonders renitenten Pfarrer geben.)
Quelle: Frank Reif: Fellingshausen, 3. Aufl. 2000, Eigenverlag)
Um die Bedeutung des Namens “Toteneiche” finden sich in den Heimatbüchern verschiedene Erklärungen. Die offizielle Version steht auf einer vom VHC (Vogelsberger Höhen Club) organisierten Tafel: “Bis etwa zum Jahr 1710 mussten die Toten von Fellingshausen nach Rodheim getragen werden, um dort ihre letzte Ruhe zu finden. Wie schriftlich und mündlich überliefert ist, bewegte sich der Trauerzug auf dem Weg über den Bauroth bis zur Eiche. Hier wurde eine Rast eingelegt und die Leichenträger wechselten, bevor es auf geradem Weg weiter zum Rodheimer Kirchhof ging.” Andere Quellen geben den Hinweis, dass zum Transport der Leichen besondere Tücher mit speziellen Griffen verwendet wurden.
Aufgrund ihres Umfanges von 408 cm dürfte die Toteneiche ca. 350 Jahre alt sein. 1710 währe sie damit ein noch kleiner Baum gewesen. Jedenfalls ist die “Toteneiche” ab 1775 im Gemeindearchiv belegt. In der Umgegend gibt es viele Traubeneichen, die Toteneiche aber ist eine Stiel-Eiche (Quercus robur)
Gegenüber dem Naturdenkmal am Waldrand ist dann ein im Jahr 2014 angelegter Grenzsteingarten.
Weitere Infos finden Sie, wenn Sie den Grenzsteingarten unter dem lateinischen Namen Lapidarium anklicken. Zudem gibt es an dem Hinweisschild angebrachte Flyerboxen, in denen Besucher Informationen über die im Lapidarium gezeigten historischen Grenzsteine findet. Weitere Faltblätter weisen auf Hausmarken- und Wappenkunde hin und auf die frühere Schreibweise von Buchstaben und Zahlen auf den Steinen.
Dem Weg durch den Wald berauf folgend stößt man bald inmitten des Mischwaldes auf das Einzelexemplar eines Mammutbaumes, der hier von einem früheren Förster, Herrn Kaut und seinen Mannen, in den 1960er Jahren gepflanzt wurde.
An dieser Stelle wird der Kelten-Römer-Pfad verlassen. Unsere Wanderung geht nicht rechts ab, sondern geradeaus weiter über den befestigten Waldweg. An der nächsten (zugegeben versetzten) Wegkreuzung geht es auf dem befestigten Weg erst nach links, um dann doch (quasi geradeaus, aber letztlich) eben nach rechts auf den unbefestigten Weg bergab zum Hammersbachtal.
Noch vor einer Jagdhütte, wenn man nach rechts über die Wiese in ein Gebüsch steigt, findet sich dort die historische Grenzmarke der Landgrafenzeit aus 1776. Folgt man dem Weg ins Tal und dann dem Feldweg nach rechts (Richtung Vetzburg), lässt sich dann in der Nähe des Hammerbachs, mitten auf einer Wiese am Wegrand, ein Dreimärker deutlich leichter finden.
Von diesem kurzen Abstecher zum “Dreimärker” geht es zurück Richtung Norden; in die entgegensetzte Himmelsrichtung.
Dort am Weg, ein weiterer Stein.
Die eingemeißelten Initialen sind GH (Großherzogtum Hessen), FLH / RDH (Fellingshausen / Rodheim). Auf der Rückseite KP (Königreich Preussen) und KFD (Krofdorf). Es ist ein ehemaliger Landesgrenzstein an drei Gemarkungen. Folgt man dem Feldweg, weg aus dem Hammersbachtal bergan Richtung Wald, läuft man bald am Waldrand entlang.
Dort findet der suchende Blick den alten Hohlweg des Handelsweges Gießen – Westfalen (Westfalenweg).
Diese Hohlwege im Wald sind durch die Räder der schwer beladenden Kutschen und Wagen entstanden, die den weichen Waldboden zur Seite verdrängt haben. Das heutige Aussehen haben die Spuren infolge von Erosion und Regen. Bei nächster Gelegenheit geht es zurück ins Tal, um die stark befahreneLandesstraße L 3047 zu überqueren. Dem Weg neben der Landesstraße folgend befindet man sich nun auf der ehemaligen Grenze des Großherzogtums Hessen und des Königreichs Preußen. Dort finden sich, zum Teil in kurzen Abständen, die historischen Grenzsteine der ehemaligen Landesgrenze. Unter anderem steht dort ein bemerkenswerter “Dreimärker” mit den Initialen GBF (Gleiberger Forst). Denn diese Gemarkung hat es nie gegeben. Der Stein weist aber auf sogenannte “Buchungsfreie Grundstücke” hin. (Nach § 3 Abs. 1 GBO erhält jedes Grundstück im Grundbuch ein Grundbuchblatt. Ausnahme sind nach § 3 Abs. 2 GBO die „buchungsfreien Grundstücke“, die dem Bund, den Ländern, den Gemeinden und anderen Kommunalverbänden gehören (öffentliche Grundstücke). Quelle: wikipedia
Fast am nördlichsten Punkt des Rundwanderweges steht ein vom Zerfall bedrohtes Pumpenhaus, das im Jahr 1938 zur Versorgung der Einwohner von Fellingshausen mit Trinkwasser gebaut wurde. Ein Stuck weiter des Weges kommt man über eine Wiese an das “Krumbacher Kreuz” (die Abzweigung der Straße zum Ortsteil Krumbach), an dem die L3047 wieder überquert werden muss. Auch hier wieder ist Vorsicht wegen des zum Teil schnellen Verkehrs angesagt.
Über den Parkplatz kommt man zum Keltentor undKeltengehöft (Nachbildung aus dem Jahr 2006).
Hier müssen sich die Wanderer entscheiden, ob sie auf dem 8 km Rundweg zurück zum Ausgangspunkt gehen, oder ob sie einen Abstecher auf den mit 497,7 m ü. NHN höchsten Berg der Region machen wollen. Damit würde sich die Wegstrecke um 5 km auf 13 km erhöhen. Für den Rückweg zum Hotel Am Keltentor wird empfohlen, wieder der Kelten-Römer-Pfad-Beschilderung zu folgen.
Auf dem Gipfel des Dünsberges würde sie die Dünsberg Raststätte (Aktuell ist es wegen der Corona-Krisen-Vorschriften – wichtig sich telefonisch anzumelden.) und eine Aussichtsturm mit herrlichem Weitblick über die Region erwarten. Zudem findet sich auf dem Dünsberg seit 2018 eine Nachbildung des Trigonometrischen Punktes (TP-Pfeiler). Denn der Dünsberg spielte bei der Vermessung der Welt ein wichtige Rolle. Das Original des Messpunktes aus dem Jahr 1835 ist in der Turmkammer des Aussichtsturmes zu finden. Eine große Hinweistafel gibt Informationen über die Bedeutung des Dünsberges bei der Landvermessung. Auf dem Dünsberg selbst sind u.a. die historischen Ringwälle der Kelten mit Hinweistafeln zu finden, ein schöner Kunst-Weg und viele schöne Aussichten zu erhaschen; vielleicht sogar Einsichten beim Erklimmen des Berges oder beim Verlaufen im Wald, wenn man sich dem einen oder anderen Trampelpfad anvertraut.
Quelle: Biebertaler Nachrichten Nr. 27, gleichnamiger Bericht von Herrn Döpfer, 3.7.2020 Ergänzt durch eigene Eindrücke z.B. aus einer Wanderung mit Herrn Döpfer 2018 mit der Zukunftswerkstatt Biebertal.
So sieht heute eines der Kinder aus der ersten Generation der Sternschnuppe aus – nein nicht das Baby, das große Kind darüber! Bis heute hat sich bei ihm die Liebe zu den Kleinen gehalten. Die Kontakte zu den damaligen, plötzlich ins eigene Leben platzenden „Mitgeschwistern“ haben sich allerdings, wider meine Erwartungen, verloren. Gelegentlich sieht man sich auf der Rodheimer Kirmes. Die meisten aber, so mein Kenntnisstand, hat es in die weite Welt zerstreut. Sie sind erfolgreiche Menschen geworden.
Damals in den Neunzigern gab es noch Papierfotos und die sind mittlerweile in irgendeinem Karton, warten auf ihre Wiederentdeckung. So habe ich mich zu einem aktuellen Foto entschlossen. Angefangen hat die Sternschnuppe in der alten Zigarrenfabrik in Rodheim. Dort, wo heute das AWO-Heim steht. Doch bald mussten wir umziehen und uns die Räume in der alten Schule in Rodheim selbst herrichten. Dankenswerterweise konnten wir die Gemeindevertreter dahingehend überzeugen. Ich erinnere mich, wie ich damals (berufsfremd, aber handwerklich geschickt) das Bad gefliest habe. Andere haben geputzt, gemalert, geschreinert,was das Zeug hielt. Lange noch, nachdem wir schon den nächsten Schritt gegangen waren, hingen noch die von meiner Mutter selbst gehäkelten Gardinen, ein Mann und eine Frau, vor den Fenstern. Damals haben die Eltern selbst für die Kinder gekocht, die Räumlichkeiten sauber gehalten, sind auch mal selbst zur Betreuung eingesprungen oder haben im Garten der heutigen Sternschnuppe Sandkasten und Spielmöglichkeiten errichtet. Viele Besprechungen waren damals üblich, notwendig und gewollt.
Wir meist arbeitenden oder noch studierenden Eltern – oft ohne Großeltern in der Nähe – mussten uns eine Lösung einfallen lassen, eine Betreuung erfinden, die es damals so also gar nicht gab. Es war noch die Zeit der Kinderladenbewegung im Geist der Eltern zu spüren: Wir wollten selbst für die Inhalte der ersten Schritte unserer Kinder verantwortlich sein, mitbestimmen. Und überhaupt fing die Kinderbetreuung in den staatlichen oder kirchlichen Einrichtungen damals erst mit 3 Jahren an. Die Kinder mussten u.a. „sauber“ sein, um die „Kindergartenreife“ zu haben. Also organisierten wir uns, nahmen die Dinge selbst in die Hand, suchten uns selbst qualifizierte Betreuerinnen und Räumlichkeiten.
Nach der Aufbauphase hat sich die Sternschnuppe konsolidiert und weiterentwickelt, Unter anderem kam eine Spielfläche vor der Alten Schule hinzu ;und aktuell wird im Haus für eine weitere Gruppe Platz geschaffen, umgebaut. Inzwischen engagiert sich die Gemeinde deutlich mehr als damals. Nun nach 30 Jahren wurde der Stab der Verantwortung ganz an die Gemeinde abgegeben. Die Elterninitiative formte sich (siehe Bericht im Gießener Anzeiger) in einen Förderverein um. Die staatlichen Auflagen waren im Laufe der Jahre immer mehr geworden, so dass sie als Eigenleistung der Eltern nicht mehr zu tragen waren.
Nun – vielleicht fühlt sich hier der eine oder andere Elternteil oder gar ein „Sternschnuppenkind“ berufen eigene Erlebnisse aus seiner Zeit beizusteuern. Es würde uns vom Bilderbogen-Team freuen.
Auch wenn wir uns damals niemals hätten vorstellen können, der Gemeinde die Betreuung unserer Kinder anzuvertrauen, ist diese 30jährige Historie im Grund doch eine der schönen Erfolgsgeschichten aus der 50jährigen Geschichte der Gemeinde Biebertal! Wir können stolz darauf sein, dass sich immer wieder engagierte Menschen finden, die bei uns etwas bewegen und gute Voraussetzungen dafür schaffen, in Biebertal ein gutes Leben führen zu können.