Eindringliche Mahnung zur Ächtung von Atomwaffen – August-Gedenktage an Opfer von Hiroshima und Nagasaki
Jedes Jahr kommen mir diese Erinnerungen an meinen Besuch dieser japanischen Städte schmerzlich in Erinnerung.
In diesem Jahr 2023 gibt es eine Besonderheit, denn aktuell haben Atomwaffen weltweit durch den Ukraine-Krieg ziemlich viel Aufmerksamkeit bekommen.
Laut einer INSA-Umfrage vom Oktober 2022 hatten rund 59 % in Deutschland Angst vor einem dritten Weltkrieg.
Auch der Hollywoodfilm »Oppenheimer« hat für viel Trubel und Diskussionen gesorgt. 1942 begann das Atomzeitalter mit dem Manhatten Projekt und vielen ober- und unterirdischen Atomtests.
Seit dem ersten Einsatz von Atombomben am 6. und 9. August 1945 über den Städten Hiroshima und Nagasaki ist es gerade einmal 78 Jahr her. Etwa 140 000 Menschen in Hiroshima und 74 000 in Nagasaki waren sofort tot oder starben in den nächsten drei Monaten an den unmittelbaren Folgen der Explosion – in der extremen Hitze, an den Folgen der Druckwelle und der Brände und dann an den Folgeschäden von Verstrahlung und nuklearem Fallout sowie viele weitere an den mittelbaren Auswirkungen in Form von Missbildungen und Krebs.
Hatten wir geglaubt, nach diesem Fiasko, dem millionenfachen Tod und Leiden der Weltkriege und der Katastrophe in den Atomreaktoren Tschernobyl und Fukushima hätte die Menschheit verstanden, so sehen wir uns gerade enttäuscht.
Aktuell droht der russische Präsident im Rahme seiner Spezialoperation immer mal wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen oder gar der Sprengung des größten Atomkraftwerkes in Saporischschja in der Ukraine.
Trotz Atomwaffenverbotsvertrag gibt es weltweit immer noch 12.700 oder 13.400 (die Angaben schwanken) Atomwaffen von denen etwa 4.000 einsatzfähig und 1.800 in ständiger Alarmbereitschaft gehalten werden.
Sie können ihre Ziele innerhalb weniger Minuten erreichen und der Menschheit ein Ende bereiten.
In der heutigen Welt, die voll von atomaren Massen-Vernichtungswaffen, Cyber-Kriegsführung, Hyperschall- Trägersystemen, Weltraum-Kriegsführung und weiteren Systemen zur Zerstörung ist, wird es umso wichtiger für Frieden einzustehen, die Stimme zu erheben und diplomatisch-friedliche Lösungen zu finden.
Dennoch scheint das Ende des Zeitalters der Atomwaffe weiterhin in weiter Ferne. Auch unsere aktuelle deutsche Ampel-Regierung hat sich mit dem 100-Mrd.-Aufrüstungspaket dafür entschieden, neue Flugzeuge vom Typ F-35 anzuschaffen. Diese sollen die bisher für die nukleare Teilhabe zur Verfügung stehenden Tornados ablösen. Damit werden die Weichen für weitere jahrzehnte Fortsetzung der nuklearen Teilhabe gestellt.
Mehr nun aus dem beeindruckenden Artikel – von Martina Lenzen-Schulte: “Für ein Leben gezeichnet und geächtet“, im Dt. Ärzteblatt, 7.8.2023; 120 (31-32): A-1316-1321 – über ein langes Gespräch mit Prof. Dr. med. Masao Tomonaga, dem langjährigen Direktor des Rotkreuz-Hospitals Genbaku in Nagasaki. Er ist nun über 80 Jahre alt und widmet sich als Chairman der Hibakusha Association der Präfektur Nagasaki noch immer der Aufklärungsarbeit.
Foto links: picture alliance/CPA Media Co. Ltd/Joe O‘Donnell
Ohne die übermenschliche Disziplin der Bevölkerung wären Nagasaki und Hiroshima in weit größerem Chaos versunken, sagen Zeitzeugen rückblickend. Doch was dies für ein Leben ist, kann sich kaum jemand vorstellen.
Am 23. Dezember 1945 eröffnete Gishin Yamashita (1894–1989), Nachfahre einer reichen Familie, in einem kleinen Raum am Stadtrand von Hiroshima ein Kriegswaisenhaus. Er setzte sich später unermüdlich für ein Gesetz ein, das den Überlebenden die kostenlose medizinische Behandlung sicherte – eine Forderung, die erst Jahrzehnte nach dem Krieg verwirklicht wurde.
Prof. Dr. med. Masao Tomonaga hat als Kind selbst die Detonation über Nagasaki in einer Entfernung von 2,5 km miterlebt. Von seiner Mutter weiß er nicht nur um die entsetzlichsten Details der damaligen Geschehnisse, sondern vor allem um die emotionalen und psychologischen Abgründe, in die die Überlebenden danach geraten sind.
Später war er als Hämatologe federführend eingebunden, die chronischen gesundheitlichen Folgen von Strahlenschäden zu erforschen und die in Japan als Hibakusha bezeichneten Überlebenden zu behandeln.
Dank ihnen werden die Folgen ionisierender Strahlung nun besser verstanden.
Am 6. August wurde über Hiroshima die 16-Kilotonnen-Bombe „Little Boy“ (Uran 235) über einer Bevölkerung von etwa 350 000 Menschen abgeworfen, drei Tage später detonierte die 21-Kilotonnen-Bombe „Fat Man“ (Plutonium 239) über den rund 240 000 Bewohnern Nagasakis – in je 500 m und 600 m Höhe. 90 % der Stadt Hiroshima wurden im Umkreis um das Hypozentrum dem Erdboden gleichgemacht, in Nagasaki waren es aufgrund anderer geologischer Gegebenheiten 70 %. Damals dominierten zunächst die unmittelbaren und mittelbaren körperlichen Verheerungen.
Die Sterbequote hing von der Entfernung zum Hypozentrum (das in diesem Fall nicht unter, sondern über der Erde lag) und davon ab, ob es Schutzräume gab:
In 500 m Entfernung von Ground Zero waren alle sofort tot,
bis in 1 km Entfernung waren es 90 %.
Innerhalb von 1,5 km Distanz starben 50 %, jeder Zehnte schließlich in einem Ring von 2 km (siehe Grafik unten)
Rund die Hälfte der Opfer wurde vom Detonationsdruck getötet, etwas mehr als ein Drittel durch Hitze und die übrigen durch ionisierende Strahlung.
Die Druckwelle war so stark, dass den Babys, die von ihren Müttern auf traditionell japanische Weise am Körper getragen wurden, die Köpfe abgerissen wurden, so eine der grauenvollsten Erinnerungen der Überlebenden. Sie verbrachten die ersten Tage und Nächte im Freien auf dem Boden; darunter rund 74 000 Verletzte in Nagasaki, für Hiroshima wird ihre Zahl auf knapp 80 000 geschätzt. An angemessene medizinische Versorgung war nicht zu denken, jegliches Equipment war zerstört, es konnten weder Schmerzen gelindert noch Plasma- oder Blutpräparate verabreicht werden, was zwischen Leben und Tod entscheiden konnte.
Nicht nur materielle Ressourcen zur Behandlung fehlten. In Hiroshima starben 90 % der Ärztinnen und Ärzte und der Pflegekräfte. Solchen Berufsangehörigen war es wegen ihrer Bedeutung für die medizinische Versorgung verboten, die Städte zu verlassen. In Nagasaki lag das Universitätshospital nur 600 m von Ground Zero entfernt, etwa 900 Mitarbeiter wurden getötet. Jedoch überlebten dort glücklicherweise gegen alle Wahrscheinlichkeit mehr als die Hälfte des ärztlichen und pflegerischen Personals. Das war hauptsächlich dem Umstand zu verdanken, dass die Klinikgebäude zu den größten und stabilsten der Stadt zählten.
Wie es darin zuging, wissen wir von dem Augenzeugenbericht des Radiologen Takashi Nagai, der als 37-Jähriger in einem der Gebäude den Bombenabwurf überlebte. Er kümmerte sich zwei Tage hingebungsvoll um die Opfer, bis er selbst zusammenbrach. Nagai schildert die Tage und Wochen nach der Katastrophe so emotional empathisch wie medizinisch minutiös in dem berühmten Buch „Die Glocken von Nagasaki.“ Es handelt sich um ein einzigartiges Dokument, da Nagai diese Apokalypse zugleich als Mensch und Mediziner in Worte fassen konnte.
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Was Nagai in seinem Buch und später etliche Studien als unmittelbare medizinische Folgen dokumentierten, war seinerzeit völlig unbekannt
und wurde zunächst als genbanku-shou (atomic bomb sickness), später mit dem Begriff „acute radiation sickness“ (ARS) bezeichnet.
Später wurden mit den ARS-Kriterien rund 150 hoch exponierte Opfer des Tschernobyl-Atomreaktorunfalls diagnostiziert – darunter die 134 Arbeiter, die zum Zeitpunkt des Unfalls in der Anlage waren.
Vor allem die sich rasch erneuernden Organsysteme waren betroffen: Darmschleimhaut und Knochenmark. Statt Hämatopoese (Blutbildung) sieht man nur Fettzellen, die Faltungen des Darms, die der Oberflächen-vergrößerung dienen, verflachen völlig. Die Schädigung der Schleimhäute geht mit blutigem Diarrhoe (Durchfall) und blutigem Speichel einher. Purpura (kleine Einblutungen), sehr hohes Fieber und Infektionen folgen auf den Verlust der Knochenmarkszellen, die unter anderem der Blutbildung (Hämatopoese) dienen.
Was die Hibakusha selbst und die sie Pflegenden innerhalb kürzester Zeit als erstes Anzeichen des nahenden Todes identifizierten und fürchteten, war der Haarausfall. „Daher zog jeder nach dem Aufwachen als Erstes an seinen Haaren, um zu prüfen, ob sie noch fest waren“, schildert Tomonaga das angsterfüllte morgendliche Ritual.
Wer den ersten Monat überlebte und sich dank besser werdender medizinischer Versorgung erholte, war längst nicht gesund oder geheilt – und oft von Anfang an stigmatisiert. Dazu trugen nicht zuletzt die abnormen Keloide bei, wie man sie zuvor selbst nach tiefen Verbrennungen noch nie gesehen hatte. Sie verflachten oft erst nach etlichen Jahren und erinnerten zunächst an Tumorwucherungen oder Lepra. Dies ließ die Mitmenschen schon früh von den Hibakusha zurückschrecken. So begann eine lange Geschichte von Ausgrenzung und Ächtung: Als hätte der Verlust von Heim und Familie, die körperliche und psychische Traumatisierung nicht genug Leid bedeutet, schlug Hibakusha Misstrauen statt Mitleid entgegen. Sie lebten außerdem in stetiger Furcht vor dem, was ihnen die Hinterlassenschaft der Bombe noch alles an Leid abfordern würde.
Bereits ab 1949 fiel Ärzten auf, dass Überlebende – darunter auch Kinder – vermehrt unter Leukämien litten. Die Überlebenden entwickelten fast in allen Organen häufiger Malignome als ihre nicht exponierten Mitmenschen.
Wie die Grafik zeigt, tötet die Bombe noch immer.
Wer einer Dosis zwischen 100 mGy (100 milligray = 0.1 gray, der niedrigste Wert, der mit einem signifikant erhöhten Tumorrisiko assoziiert ist) bis 3 Gy ausgesetzt gewesen war, hat immer noch ein – wenn auch nur gering – erhöhtes Risiko.
Die Angst davor wirkt wie ein psychisches Damoklesschwert, das seit Jahrzehnten über den Hibakusha droht, denn deren Durchschnittsalter liegt inzwischen bei deutlich über 80 Jahren. „Hibakusha erhielten leider keine guten Erklärungen“, bedauert der alte Arzt, „auch, weil die meisten von uns, sogar Spezialisten, nur rudimentäres Wissen über die gesundheitlichen Folgen der Atombombe hatten.“ Die Betroffenen hörten zunächst nur, sie sollten sich nicht zu viele Sorgen machen.
Für eine bessere Aufklärung der Überlebenden, aber auch für künftige Therapiekonzepte kam der Forschung über die gesundheitlichen Folgen ionisierender Strahlung daher zentrale Bedeutung zu.
Eine eigens hierfür konzipierte Einrichtung ist das Atomic Bomb Disease Institut (ABDI) der Universität Nagasaki. Die Atomic Bomb Casualty Commission (später Radiation Effect Research Foundation, RERF) begann 1947, die Langzeiteffekte zu monitoren. Daraus ging 1958 die bedeutende Life Span Study (LSS) mit 120 321 Teilnehmenden hervor; 26 580 Bewohner von Hiroshima und Nagasaki, die beim Abwurf nicht in ihrer Heimatstadt waren, bildeten die Kontrollgruppe.
Diese Datenbanken stellen somit die ersten ihrer Art dar, um Folgen ionisierender Strahlung systematisch zu beschreiben. Den Analysen zufolge haben Hibakusha nicht nur ein erhöhtes Krebsrisiko, sondern leiden auch überdurchschnittlich häufig an anderen Krankheiten, etwa Augenkrankheiten, z.B. Katarakt (grauer Star, Linsentrübung) und Herz-Kreislauf-Krankheiten (z.B. Herzinfarkt). Dank der LSS kann man von einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung ausgehen, was die Wahrscheinlichkeit des Entstehens von Krebs und Leukämie im Abstand zur Strahlenquelle angeht. Diese Erkenntnisse sind nicht nur das Verdienst der Forschung, sondern wesentlich der Hibakusha, die diese bereitwillig unterstützt haben.
Für eine Vielzahl von Menschen, zum Beispiel jene, die in strahlensensiblen Bereichen arbeiten, könnten gefundene Marker (Merk- oder Kennzeichen) klären helfen, ob ihr Tumor mit ihrer Arbeit zu tun hat oder nicht. Dazu zählen Mitarbeitende in Kliniken und Forschungsinstituten, Piloten und Flugbegleitpersonal, aber auch Wasserwerker oder Menschen, die im Bergbau in Regionen mit erhöhter Radonbelastung arbeiten.