So beschaulich wie sich Hohensolms heute seinen Besuchern bietet war der Ort nicht immer. Für Fürsten, Herzoge und sogar den russischen Zaren diente die Kulisse im 19. und 20. Jahrhundert der Entspannung und Kurzweil. Von einem solchen Majestäten-Besuch soll hier die Rede sein:
„Wie kam es, dass der russische Zar Nikolaus II. gemeinsam mit seiner Frau Alix, später auch bekannt als Alexandra Feodorowna, ausgerechnet einen Abstecher nach Mittelhessen machte? Wie so oft zog ein Verwandtenbesuch das russische Staatsoberhaupt nach Hohensolms, denn sein Schwager, Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, hatte am 2. Feb. 1905 in zweiter Ehe das „Solmser Lorche“, Eleonore zu Solms-Hohensolms-Lich, geheiratet.
Diese wurde in Lich 1871 als viertes Kind und zweite Tochter des Fürsten Herrmann Adolf zu Solms-Hohensolms-Lich und seiner Gattin Agnes Gräfin zu Stolberg-Wernigerode geboren. Nach dem Tode ihres Vaters 1899 übersiedelte sie mit ihrer Mutter auf das Schloss Hohensolms.
Im Sommer 1905, also kurz nach der Hochzeit, war der Schwager von Ernst Ludwig, der russische Zar Nikolaus II., mit seiner Frau in Darmstadt zu Besuch.
Von da starteten der Zar und Ernst Ludwig mit ihren Frauen und Gefolge einen Ausflug nach Hohensolms, vermutlich wollte Ernst Ludwig seiner Schwester und dem Zaren mal die Heimat seiner Frau, eben Hohensolms, zeigen.
Als die Reisegesellschaft mit Ihrer Kutsche von Gießen an die Haltestelle der Biebertalbahn, Abendstern, kam, versperrte die „Bieberlies“, deren Gleise dort von der linken auf die rechte Straßenseite wechseln, die Straße.
Der Erzherzog und der Zar waren erbost und witterten gleich Sabotage. Da hatte der legendäre Andreas Haus seinen großen Auftritt. Er war schon seit der Inbetriebnahme der „Bieberlies“ 1898 bis zu seiner Pensionierung 1942 als Schaffner und Zugführer bei der Biebertalbahn beschäftigt.
In einer Schulfunksendung anlässlich der Einstellung des Personenverkehrs 1952 berichtet er von diesem Erlebnis wie folgt:
„Ich hörte nur, wie der Straßenwärter Volkmann aus Heuchelheim rief „Die Straße frei, eine Majestät, eine Majestät“. Da sah ich die Kutsche mit vier Schimmeln auch schon. Ich gab dem Lokführer Steinmüller gleich die Anweisung die Straße frei zu machen, was dieser dann auch sofort tat. Der Großherzog rief mich zu sich und sagte: Das hat Folgen für den Lokführer, ich werde ihn melden bei der Eisenbahngesellschaft und seine Entlassung veranlassen. Darauf erwiderte ich, der Lokführer wusste so wenig wie ich, dass Sie kommen und entschuldigte mich bei ihm. Darauf flüsterte seine Frau Eleonore dem Großherzog etwas ins Ohr. Darauf erhellte sich sofort die Miene von dem Großherzog, er sagte er wolle mir glauben und er bedankte sich noch bei mir, dass ich immer seine Frau und deren Schwester, wenn diese von Bieber nach Gießen mit Bieberlies gefahren seien sehr behilflich gewesen wäre. Seine Frau hatte ihm wohl ins Ohr geflüstert, dass ich ihr immer sehr behilflich beim Ein- und Ausladen ihres Gepäcks bei den Fahrten mit der Bieberlies gewesen sei. Er sagte dann: Ich solle es gut machen und er sowie seine Frau, der Zar und die Zarin gaben mir dann noch die Hand.“
Ob er sich die Hand wochenlang nicht gewaschen hat, ist nicht überliefert. Die herrschaftliche Gesellschaft setzte jedenfalls ihre Fahrt nach Hohensolms fort.
Und das Fazit der Geschichte: Oft zahlen sich Höflichkeit und Gefälligkeit aus.
Quelle: Geschrieben vom Heimatverein Rodheim-Bieber, hier: http://www.dagmarschmidt.de/im-wahlkreis/bieberliesgeschichte-wenn-majestaten-reisen/